Bericht des LUKAS 

Kapitel 1

1 Schon viele haben es unternommen, einen Bericht über die fest beglaubigten Begebenheiten zu schreiben, die sich bei uns zugetragen haben. 2 Der Inhalt dieser Berichte stimmt mit dem überein, was uns die mitgeteilt haben, die von Anfang an Augenzeugen waren und als Verkünder der Wahrheit öffentlich auftraten.

3 Nun habe auch ich allen Tatsachen von Anfang an sorgfältig nachgeforscht und mich entschlossen, sie gleichfalls niederzuschreiben und zwar der geschichtlichen Reihenfolge nach und dir, hochedler Theophilus, die Niederschrift zu senden. 4 Dadurch sollst du dich von der Richtigkeit dessen vollkommen überzeugen, was dir in mündlicher Belehrung mitgeteilt wurde.

5 Zur Zeit des jüdischen Königs Herodes lebte ein Priester namens Zacharias. Er gehörte zu der Priesterklasse Abia. Seine Frau stammte von Aaron ab und hieß Elisabeth. 6 Beide führten ein gottwohlgefälliges Leben; denn sie befolgten treu alle Gebote und Satzungen des Herrn. 7 Kinder hatten sie nicht, da Elisabeth bisher Mutterfreuden versagt blieben. Beide standen schon im vorgerückten Alter.

8 Eines Tages war die Priesterklasse, zu der Zacharias gehörte, an der Reihe, den Priesterdienst vor Gott zu versehen. 9 Wer von den Priestern den Dienst zu verrichten hatte, darüber pflegte man das Los entscheiden zu lassen. Diesmal fiel es auf Zacharias. So ging er denn in den Tempel des Herrn, um dort das Rauchopfer darzubringen. 10 Das ganze Volk pflegte während der Darbringung des Rauchopfers draußen zu stehen und zu beten.

11 Da erschien ihm ein Engel des Herrn und stand auf der rechten Seite des Brandopferaltares. 12 Bei seinem Anblick erschrak Zacharias, und ein Schauer durchrieselte ihn. 13 Der Engel aber redete ihn mit den Worten an: "Fürchte dich nicht, Zacharias! Dein Gebet hat Erhörung gefunden. Deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn schenken, dem du den Namen Johannes geben sollst. 14 Du wirst große Freude und Wonne darüber empfinden, und auch viele andere werden sich über seine Geburt freuen. 15 In den Augen des Herrn wird er groß dastehen. Wein und andere berauschende Getränke wird er nicht trinken, und eine große Zahl heiliger Geister wird schon von seiner Geburt an um ihn sein. 16 Viele von den Kindern Israels wird er zum Herrn, ihrem Gott, zurückführen. 17 Er ist es, der vor 'Ihm' hergehen soll im Geist und in der Kraft des Elia, um eine Sinnesänderung herbeizuführen, angefangen bei den Eltern bis hinunter zu den Kindern, aus Ungläubigen wieder Gottestreue zu machen und so dem Herrn ein Volk zu schaffen, das mit allen Waffen des Guten ausgerüstet ist." 18 Zacharias fragte den Engel: "Welchen Beweis habe ich für die Wahrheit deiner Botschaft? Ich bin ja ein alter Mann und auch meine Frau ist schon hochbetagt." 19Der Engel gab ihm zur Antwort:  "Ich bin Gabriel, der vor Gottes Angesicht steht, und wurde zu dir gesandt, um mit dir zu reden und dir diese frohe Botschaft zu bringen. 20 Aber zur Strafe dafür, dass du meinen Worten nicht geglaubt hast, die trotzdem zur gegebenen Zeit in Erfüllung gehen werden, sollst du stumm sein. Kein Wort wirst du reden können bis zu dem Tage, an dem diese meine Verheißung sich erfüllt hat."

21 Das Volk wartete unterdessen auf Zacharias und wunderte sich darüber, dass er so lange im Heiligtum blieb. 22 Als er endlich heraustrat, konnte er nicht sprechen. Da war es ihnen klar, dass er eine Geistererscheinung im Tempel gehabt haben musste. Er versuchte sich nun durch Zeichen mit ihnen zu verständigen und blieb fernerhin stumm.

23 Als die Tage seines priesterlichen Dienstes vorüber waren, kehrte er nach Hause zurück. 24 Bald darauf kam seine Frau Elisabeth in Hoffnung und lebte fünf Monate lang in tiefer Zurückgezogenheit. Sie pflegte zu sagen: 25 "Diese Gnade hat der Herr mir in dem Augenblick erwiesen, wo er die Schmach von mir nehmen wollte, die in den Augen der Menschen auf mir lastete."

26 Im sechsten Monat nach diesem Ereignis wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt Galiläas 27 zu einer Jungfrau gesandt, die mit einem Mann aus der Nachkommenschaft Davids verlobt war. Der Mann hieß Joseph, und der Name der Jungfrau war Maria. 28 Der Engel trat ein und begrüßte sie mit den Worten: "Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Du bist gesegnet unter den Frauen!" Bei dieser Anrede fühlte sie sich ganz verwirrt und begann darüber nachzudenken, was dieser Gruß wohl bedeuten könne. 30 Aber der Engel fuhr fort: "Fürchte dich nicht, Maria! Denn du fandest Gnade vor Gott. 31Siehe, du wirst guter Hoffnung werden und einen Sohn gebären. Ihm sollst du den Namen Jesus geben. 32 Dieser wird groß dastehn und 'Sohn des Allerhöchsten' genannt werden. Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakobs herrschen bis in die zukünftigen Zeiten, und sein Königtum wird kein Ende haben." 34 Da fragte Maria den Engel: "Wie soll das möglich sein? Ich habe doch mit keinem Manne Verkehr." 35 Der Engel gab ihr zur Antwort: "Ein heiliger Geist wird auf dich kommen, und die Kraft eines sehr Hohen dich überschatten. Darum wird das Gott geweihte Kind ein 'Sohn Gottes' genannt werden. 36 Und wisse: Elisabeth, deine Anverwandte, ist trotz ihres hohen Alters ebenfalls in Hoffnung und erwartet einen Sohn, - und sie, die bisher als unfruchtbar galt, ist bereits im sechsten Monat. 37 Denn keine Verheißung Gottes bleibt unerfüllt." 38 Da sprach Maria: "Ich betrachte mich als eine Dienstmagd des Herrn. Mir geschehe, wie du gesagt!" Darauf schied der Engel von ihr.

39 Gleich in den nächsten Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in das Bergland nach einer Stadt in Juda. 40 Sie trat in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth, 41 Sobald Elisabeth den Gruß Marias vernahm, hüpfte das Kind in ihrem Schoß, und die volle Kraft eines heiligen Geistes durchströmte sie, 42 und mit lauter Stimme brach sie in die Worte aus: "Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Schoßes! 43 Wodurch habe ich denn das Glück verdient, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? 44 Denn als die Worte deines Grußes an mein Ohr drangen, da hüpfte das Kind in meinem Schoß vor Freude. 45 O, glücklich zu preisen ist die, welche geglaubt hat, dass die ihr vom Herrn gegebene Verheißung in  Erfüllung gehen wird."

46 Da sprach Maria folgende Worte: "Es preiset meine Seele den Herrn, und 47 mein Geist jubelt in Gott, meinem Retter. 48 Denn der Herr hat in Gnaden herabgeschaut auf die Demut seiner Magd. Siehe, von jetzt an werden mich selig preisen alle Geschlechter; 49 denn der Allmächtige hat Großes an mir getan. Ja, heilig ist sein Name! 50 Seine Barmherzigkeit wird von Geschlecht zu Geschlecht denen zuteil, die Ehrfurcht vor ihm haben. 51 Er waltete mit mächtigem Arm, zerstreute, die da hochfahrenden Sinnes sind, 52 stürzte stolze Machthaber von ihrem Thron und erhöhte, die demütigen Herzens sind; 53 Hungrige sättigte er mit Gütern, und die Begüterten ließ er leer ausgehen. 54 Seines Knechtes Israel nahm er sich an und gedachte, sich seiner zu erbarmen. 55So hatte er es ja unsern Vätern verheißen, dem Abraham und seinen Nachkommen, für der Zeiten Dauer."

56 Maria blieb drei Monate bei Elisabeth und kehrte dann nach Hause zurück.'

57 Für Elisabeth kam nun die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar einen Sohn. 58 Als ihre Nachbarn und Verwandten hörten, dass der Herr ihr so große Barmherzigkeit erwiesen hatte, freuten sie sich mit ihr. 59 Am achten Tage kamen sie zur Beschneidung des Kindes und wollten ihm den Namen seines Vaters Zacharias geben. 60 Doch die Mutter lehnte dies mit den Worten ab: "Nein, er soll Johannes heißen!" - 61 "Aber" - sagten sie - "es ist doch in deiner ganzen Verwandtschaft niemand, der diesen Namen führt."

62 Da gab man dem Vater durch Zeichen zu verstehen, wie er das Kind genannt haben wolle. 63 Dieser forderte ein Täfelchen und schrieb darauf die Worte: "Johannes ist sein Name!" 64 In demselben Augenblick wurde seine Zunge wieder gelöst. Alle staunten, als er nun seinen Mund öffnete und das Lob Gottes verkündete. 65 Ein heiliger Schauer ergriff alle, die in dieser Gegend wohnten. Überall im ganzen Berglande von Judäa sprach man von diesen Ereignissen. 66 Allen, die davon hörten, ging es tief zu Herzen, und einer sagte zum andern: "Was wird wohl aus diesem Kinde werden? Denn die Kraft des Herrn steht ihm zur Seite." 67 Auch Zacharias, der Vater des Kindes, wurde von der überströmenden Kraft eines heiligen Geistes erfüllt und sprach: " 68 Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat in Gnaden herabgeschaut und seinem Volk die Erlösung gebracht. 69 Einen mächtigen Befreier hat er uns erstehen lassen im Hause seines Knechtes David. 70 So hat er es von alters her verheißen durch den Mund seiner Propheten, die da sprachen: 71 'Retten wird er uns von unsern Feinden und aus der Gewalt derer befreien, die uns hassen. 72 Damit will er Barmherzigkeit unsern Vätern erweisen, 73 eingedenk seines heiligen Bundes und des Eides, mit dem er unserm Vater Abraham geschworen hat, 74 uns zu retten aus der Hand unserer Feinde und uns die Kraft zu gewähren, ihm furchtlos zu dienen 75 in Frömmigkeit und Rechttun alle Tage unseres Lebens.' 76 Und du, Kindlein, wirst ein Prophet eines sehr Hohen genannt werden. Denn du wirst vor dem Herrn einhergehen, ihm die Wege zu bereiten. 77 Du sollst seinem Volk die Erkenntnis der Erlösung vermitteln, die in der Befreiung von der Sünde ihres Abfalls besteht 78 und dem herzlichen Erbarmen unseres Gottes zu verdanken ist. Durch seine erbarmende Liebe ging uns die Sonne aus der Höhe wieder auf, 79 und ein Licht schien auf uns nieder, das denen leuchten soll, die in der Finsternis und im Schatten des Totenreiches sitzen, damit sie ihre Schritte wieder hinlenken zum Pfade des Friedens."

80 Das Kind wuchs zum Jüngling heran. Immer stärkere Kräfte aus der Geisterwelt Gottes machten sich bei ihm bemerkbar, und bis zu seinem öffentlichen Auftreten vor dem Volke Israel lebte er in der armen Gebirgsgegend seiner Heimat.

Kapitel 2

1 Es kam die Zeit, wo vom Kaiser Augustus eine Verordnung erlassen wurde, dass im ganzen römischen Reich eine Volkszählung stattfinden sollte. 2 Es war dies die erste Zählung dieser Art. In Syrien wurde sie vorgenommen von Quirinus, dem damaligen Statthalter. 3 Alle machten sich auf und ließen sich in die Zähllisten eintragen, ein jeder in der Heimat seines Stammes. 4 Auch Joseph reiste von seinem Wohnort Nazareth in Galiläa hinauf in das Land des Stammes Juda, in die Stadt Davids, mit Namen Bethlehem. Denn er gehörte zu Davids Stamm und Geschlecht. 5 Auch er wollte sich daselbst mit Maria, seiner Frau, die in Hoffnung war, in die Zählliste eintragen lassen. 6 Als sie dort angekommen waren, nahte sich die Stunde ihrer Niederkunft. 7 Sie gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe. In der Herberge hatten sie nämlich keine Unterkunft mehr finden können.

8 Nun waren in dieser Gegend Hirten auf freiem Felde und hielten nachts bei ihren Herden Wache. 9 Da erschien über ihnen ein Engel des Herrn, und ein wunderbarer Glanz umstrahlte sie. Sie waren starr vor Schrecken. 10 Der Engel richtete die Worte an sie: "Seid ohne Furcht! Ich habe euch eine überaus große Freudenbotschaft zu bringen, die dem ganzen Volke gilt. 11 Heute wurde nämlich in der Stadt Davids der Erlöser geboren. Er ist der von Gott bestimmte Messias. 12 Folgendes soll euch der Beweis dafür sein: Ihr werdet in einer Krippe ein Kindlein finden, das in Windeln eingewickelt ist." 13 Plötzlich war bei diesem Engel eine große Menge Geister aus dem Jenseits, die Gott lobsangen mit den Worten: 14 "Ehre sei Gott in der Höhe, und auf der Erde sei Friede in den Herzen der Menschen, die guten Willens sind."

15 Kaum waren die Engel und die Geister, die einst als Menschen lebten, aus ihren Augen entschwunden, und in das Geisterreich zurückgekehrt, da sagten die Hirten zueinander: "Wir wollen nun nach Bethlehem eilen und sehen, ob die Botschaft sich wirklich erfüllt hat, die der Herr uns verkünden ließ." 16 Schnell liefen sie hin und fanden Maria und Joseph und das neugeborne Kind, das in der Krippe lag. 17Als sie sich so von der Wahrheit überzeugt hatten, erzählten sie die Botschaft, die sie über die  Bedeutung dieses Kindes erhalten hatten. 18Alle, die es hörten, konnten über das, was die Hirten ihnen erzählten, nicht genug staunen. 19 Auch auf Maria machten diese Mitteilungen einen sehr tiefen Eindruck, und sie dachte viel darüber nach. 20 Die Hirten kehrten wieder zu ihren Herden zurück und lobten und priesen Gott für alles, was sie gehört und dessen Bestätigung sie mit eigenen Augen gesehen hatten.

21 Acht Tage später wurde der Knabe beschnitten. Man gab ihm den Namen Jesus, der schon vor seiner Empfängnis von dem Engel für ihn bestimmt worden war.

22 Nach vierzig Tagen war die durch das Mosaische Gesetz vorgesehene Zeit der Reinigung vorüber. Da brachten sie das Kind nach Jerusalem, um es dem Herrn zu weihen. 23 Es steht ja im Gesetz des Herrn geschrieben: "Jedes erstgeborne männliche Kind soll als dem Herrn geweiht gelten." 24 Gleichzeitig wollten sie das nach dem Gesetz des Herrn vorgeschriebene Opfer darbringen, nämlich ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.

25 In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon, - ein Mann ganz nach dem Herzen Gottes. Dieser wartete mit großer Sehnsucht auf einen Trost für Israel. Er stand unter der Leitung eines heiligen Geistes. 26 Von diesem heiligen Geist war ihm auch offenbart worden, dass er nicht eher sterben werde, bis er den Gesalbten des Herrn gesehen hätte. 27 Auf Antrieb dieses Geistes kam er in dem Augenblick in den Tempel, als die Eltern das Jesuskind hineinbrachten, um die Vorschriften des Gesetzes an ihm zu erfüllen. 28 Da nahm er es auf seine Arme und pries Gott mit den Worten: 29 "Nun rufst du, o Herr, deinen Knecht gemäß deinem Worte in Frieden ab. 30 Meine Augen haben ja dein Heil gesehen, 31 das du vor den Augen aller Völker bereitet hast 32 als  ein Licht, das diejenigen an den Tag bringt und zur Herrlichkeit zurückführt, die zu deinem wahren Volke Israel gehören." 33 Vater und Mutter des Kindes wunderten sich über die Worte, die sie soeben in Betreff ihres Kindes gehört hatten. 34 Simeon sprach ihnen seinen Segenswunsch aus und wandte sich dann an Maria, die Mutter des Kindes, mit den Worten: "Dieser ist dazu bestimmt, dass viele in Israel durch ihn zu Falle kommen und auch viele aufgerichtet werden. Denn die Art seines Auftretens wird auf Widerspruch stoßen. 35 Und das Schwert des innern Zwiespaltes wird sogar deine eigene Seele durchbohren. So wird die wahre Gesinnung so vieler ans Tageslicht treten."

36 Damals lebte auch eine Prophetin Anna. Sie war die Tochter Phanuels aus dem Stamme Aser. 37 Sie war schon hochbetagt. Nach ihrer Mädchenzeit war sie bloß sieben Jahre verheiratet und nun schon vierundachtzig Jahre Witwe. Nie verließ sie den Tempel, sondern diente Gott darin mit Fasten und Beten Tag und Nacht. 38 Auch sie traf in diesem Augenblick das Kind, lobte Gott und erzählte allen denen davon, die in Jerusalem auf die Erlösung harrten.

39 Als sie alles gemäß den Vorschriften des Gesetzes des Herrn erfüllt hatten, kehrten sie nach Galiläa in ihre Heimatstadt Nazareth zurück. 40 Das Kind wuchs heran, und immer stärkere Kräfte der Geisterwelt Gottes machten sich bei ihm bemerkbar. Die Fülle der Weisheit wurde ihm zuteil, und das Wohlgefallen Gottes ruhte auf ihm.

41 Jahr für Jahr pflegten seine Eltern nach Jerusalem zum Osterfest zu gehen. 42 Als nun der Knabe zwölf Jahre alt war, und sie nach der für das Fest der ungesäuerten Brote geltenden Vorschrift wieder nach Jerusalem reisten, nahmen sie ihn mit. 43 Nach Schluss der Festtage machten sie sich auf den Heimweg. Doch der Jesusknabe blieb in Jerusalem zurück, ohne dass die Eltern davon wussten. Sie meinten, er sei bei der Festkarawane. 44 In diesem Gedanken hatten sie bereits eine Tagereise zurückgelegt. Nun begannen sie bei den Verwandten und Bekannten nach ihm zu suchen. 45 Als sie ihn dort nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten ihn hier. 46 Erst nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel. Er saß mitten unter den Gesetzlehrern, hörte ihnen zu und stellte auch Fragen an sie. 47 Alle, die seinen Worten lauschten, waren starr vor Staunen über das Verständnis, das er an den Tag legte und die Antworten, die er gab. 48 Als seine Eltern seiner ansichtig wurden, waren sie ganz bestürzt. "Mein Kind", - sagte seine Mutter zu ihm - "warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben unter großem Kummer und Herzeleid nach dir gesucht." 49 Er gab ihnen zur Antwort: "Warum brauchtet ihr mich zu suchen? Konntet ihr euch denn nicht denken, dass ich dort sein müsse, wo es sich um die Sache meines Vaters handelt." 50 Doch sie verstanden die Bedeutung seiner Worte nicht. 51 Er ging dann mit ihnen hinab nach Nazareth und war ihnen ein stets gehorsames Kind. Alle diese Vorkommnisse blieben der Mutter in steter Erinnerung. 52 Jesus nahm mit der Reife der Jahre auch an Weisheit zu. Gott und die Menschen hatten ihn von Tag zu Tag lieber.

Kapitel 3

1 Im fünfzehnten Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa, Herodes Vierfürst von Galiläa, sein Bruder Philippus Vierfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Vierfürst von Abylene war, 2 unter den Hohenpriestern Annas und Kaiphas - erging eine Botschaft Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, der in einer armen Gebirgsgegend lebte. 3 Daraufhin zog er durch die ganze Gegend um den Jordan und predigte von der Taufe als äußeres Zeichen des Glaubens an seine Lehre und einer Änderung der innern Gesinnung, durch die man von der Sünde des Abfalls befreit werde. 4 Sein Auftreten war schon durch den Propheten Jesaja mit den Worten vorherverkündet worden, die in der Schrift niedergelegt sind: "Ich höre, wie einer in armer Gebirgsgegend mit lauter Stimme ruft: 'Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Pfade, auf denen er zu euch kommt! 5 Alle Vertiefungen sollen ausgefüllt, und alle Berge und Hügel abgetragen werden! Was krumm ist, soll gerade, und was uneben ist, soll ebener Weg werden! 6 Und die ganze Schöpfung wird die Rettung sehen, die von Gott kommt.'"

7 An jene Volksgruppen, die sich vor seinen Augen der Taufe entzogen, wandte er sich mit den Worten: "Ihr Schlangenbrut! Wer hat euch in den Wahn versetzt, als könntet ihr dem bevorstehenden Strafgericht entrinnen? 8 Ihr habt eure Gesinnung zu ändern und dies durch entsprechende Taten zu beweisen. Sucht euer Gewissen ja nicht damit zu beruhigen, dass ihr sagt: 'Wir haben Abraham zum Vater!' Denn glaubet mir: Gott kann aus den Felsen, die ihr da sehet, dem Abraham Kinder erwecken. 9 Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt. Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird samt der Wurzel ausgehauen und ins Feuer geworfen." 10 Da fragte ihn die Volksmenge: "Was sollen wir denn tun, um gerettet zu werden?" 11 Er gab ihnen zur Antwort: "Wer zwei Anzüge hat, gebe einen an den ab, der keinen besitzt. Und wer seine tägliche Nahrung hat, soll gleichfalls mit andern teilen." 12 Auch Zöllner kamen, um sich taufen zu lassen und richteten die Frage an ihn: "Meister, was haben wir denn zu tun, um das Heil zu erlangen?" 13 Seine Antwort lautete: "Nehmt nicht mehr Geld von den Leuten als euch zusteht!" - 14 "Und wir", - fragten ihn Soldaten - "was sollen wir denn für unser Seelenheil tun?" "Keinem" - erwiderte er - "sollt ihr Gewalt antun; gegen niemand unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Erpressungen verüben, sondern mit eurer Löhnung euch begnügen."

15 Das Volk erging sich in Vermutungen über die Persönlichkeit des Johannes, und allen kam der Gedanke, er könne wohl der Messias sein. 16 Johannes wusste, was in ihrem Innern vor sich ging und hielt als Antwort darauf an seine sämtlichen Zuhörer folgende Ansprache: "Ich tauche euch bei der Taufe in den Wellen des Wassers unter als äußeres Zeichen eures Glaubens an meine Lehre und als Zeichen eurer Sinnesänderung. Aber nach mir kommt einer; der hat mehr Macht als ich. Ihm auch nur die Riemen seiner Sandalen zu lösen, bin ich nicht einmal gut genug. Er wird euch in die Kraft- und Feuerwellen eines heiligen Geistes untertauchen. 17 Er hat die Wurfschaufel in der Hand und wird seine Tenne gründlich reinigen. Den Weizen wird er auf den Speicher schütten, die Spreu aber in einem Feuer verbrennen, das nicht eher erlischt, als bis alle Spreu verbrannt ist."

18 In diese und ähnliche Belehrungen kleidete er die Heilsbotschaft, die er dem Volke verkündete.

19 Dem Vierfürst Herodes hatte er Vorhaltungen darüber gemacht, dass er Herodias, die Frau seines Bruders, zum Weibe genommen. Auch hatte er alle andern Schlechtigkeiten scharf gerügt, die Herodes begangen hatte. Dieser setzte nun allen seinen Schandtaten dadurch die Krone auf, 20 dass er Johannes ins Gefängnis sperren ließ.

21 Eines Tages, als die anwesende Volksmenge die Taufe empfangen hatte, ließ auch Jesus sich taufen. Während er noch betete, tat sich der Himmel auf, 22 und der heilige Geist kam in der sichtbaren Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme erscholl vom Himmel her: "Du bist mein geliebter Sohn! An dir habe ich mein Wohlgefallen!"

23 Als Jesus zum erstenmal öffentlich auftrat, war er ungefähr dreißig Jahre alt. -31 Man hielt ihn für den Sohn Josephs. Dieser war der Sohn Jakobs, dieser der Sohn des Matthan, dieser der Sohn des Eleasar, dieser der Sohn des Eliud, dieser der Sohn des Achim, dieser der Sohn des Zadok, dieser der Sohn des Asor, dieser der Sohn des Eljakim, dieser der Sohn des Abihud, dieser der Sohn des Serubabel, dieser der Sohn des Salathiel, dieser der Sohn des Jechonias, dieser der Sohn des Josia, dieser der Sohn des Amos, dieser der Sohn des Manasse, dieser der Sohn des Esekia, dieser der Sohn des Achas, dieser der Sohn des Jonathan, dieser der Sohn des Osia, dieser der Sohn des Amasias, dieser der Sohn des Joas, dieser der Sohn des Ochozias, dieser der Sohn des Joram, dieser der Sohn des Josaphat, dieser der Sohn des Asaph, dieser der Sohn des Abiud, dieser der Sohn des Roboam, dieser der Sohn des Salomon, dieser der Sohn des David, 32 dieser der Sohn des Jsai, dieser der Sohn des Jobed, dieser der Sohn des Boos, dieser der Sohn des Sala, dieser der Sohn des Nahson, 33 dieser der Sohn des Aminadab, dieser der Sohn des Aram, dieser der Sohn des Esron, dieser der Sohn des Phares, dieser der Sohn des Juda, 34 dieser der Sohn des Jakob, dieser der Sohn des Isaak, dieser der Sohn des Abraham, dieser der Sohn des Thara, dieser der Sohn des Nachor, 35 dieser der Sohn des Seruch, dieser der Sohn des Ragas, dieser der Sohn des Phalek, dieser der Sohn des Eber, dieser der Sohn des Sala, 36 dieser der Sohn des Kainan, dieser der Sohn des Arphaxad, dieser der Sohn des Sem, dieser der Sohn des Noah, dieser der Sohn des Lamech, 37 dieser der Sohn des Mathusala, dieser der Sohn des Enoch, dieser der Sohn des Jaret, dieser der Sohn des Malaleel, dieser der Sohn des Kainam, 38 dieser der Sohn des Enos, dieser der Sohn des Seth, dieser der Sohn des Adam, dieser ein Sohn Gottes.

Kapitel 4

1 Ganz unter der Einwirkung eines heiligen Geistes stehend, kehrte Jesus vom Jordan zurück und wurde unter Leitung dieses Geistes in der Wüste umhergeführt 2 und vierzig Tage lang von Satan beständig versucht. Während dieser Zeit hatte er nichts zu essen, und schließlich war er dem Verhungern nahe. 3 Da richtete der Teufel die Worte an ihn: "Bist du ein Sohn Gottes, so befiehl diesen Steinen, dass sie zu Brot werden!" 4 Darauf gab ihm Jesus die Antwort: "Es steht geschrieben: "Nicht das Leben, das nur auf dem Genusse des irdischen Brotes beruht, soll der Mensch zu erhalten suchen, sondern jenes Leben, das durch die Beobachtung eines jeden Gebotes Gottes erlangt wird'." 5 Nun nahm ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und ließ ihn für einen Augenblick alle Herrschaftsbezirke des Weltalls schauen und sprach zu ihm: 6 "Dir will ich diesen ganzen Machtbereich mit all seinem Glanze geben; denn mir ist das alles verliehen worden, und ich kann es geben, wem ich will. 7 Wenn du vor mir niederfällst und mich als deinen Herrn anerkennst, dann soll dir das alles gehören." 8 Als Antwort hielt ihm Jesus die Worte der Schrift entgegen: "Vor Gott allein sollst du niederfallen und nur ihn als deinen Herrn anerkennen." 9 Jetzt führte ihn der Teufel nach Jerusalem, stellte ihn auf die Zinne des Tempels und richtete an ihn die Worte: "Bist du ein Sohn Gottes, so stürze dich von hier hinab! 10 Denn die Schrift sagt: 'Seinen Boten wird er den Auftrag geben, über dich sorgfältig zu wachen; 11 ja, auf den Händen sollen sie dich tragen, damit du nicht etwa mit deinem Fuß an einen Stein stoßest'." 12 Jesus antwortete ihm: "Die Schrift sagt aber auch: 'Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen!'" 13 Als der Teufel alle seine Versuchungskünste erschöpft hatte, ließ er von ihm ab, bis zu einer gelegenen Zeit.

14 Unter dem mächtigen Einfluss des Geistes Gottes kehrte Jesus nach Galiläa zurück. Die Kunde von ihm verbreitete sich in der ganzen Gegend. 15 Er predigte in den Synagogen, und jedermann war über ihn voll des Lobes.

16 Er kam auch nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging dort seiner Gewohnheit gemäß am Sabbat in die Synagoge. Zum Zeichen, dass er aus der Schrift etwas vorlesen wolle, erhob er sich. 17 Man reichte ihm das Buch des Propheten Jesaja. Als er es aufrollte, traf er auf eine Stelle, die folgendermaßen lautete: 18 "Ein Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat, um den Armen eine frohe Botschaft zu bringen. Er hat mich gesandt, den Gefangenen die Freilassung und den Blinden die Wiederverleihung des Augenlichtes zu verkünden, die Unterdrückten in Freiheit zu setzen 19 und eine Zeitperiode anzukündigen, in welcher der Herr die Begnadigung gewährt." 20 Dann schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener zurück und setzte sich wieder. Die Augen aller in der Synagoge waren voller Spannung auf ihn gerichtet. 21 Er begann seine Rede mit den Worten: "Das Schriftwort, das ihr soeben vernommen habt, ist heute in Erfüllung gegangen." 22 Alle stimmten ihm bei und waren erstaunt über die Worte, die aus dem Munde dieses gottbegnadeten Predigers flossen. Einer fragte den andern: "Ist das nicht der Sohn Josephs?" 23 Er fuhr fort: "Allerdings werdet ihr mir jetzt das Sprichwort vorhalten: 'Arzt, nun sei auch auf dich selbst bedacht!' Verrichte auch hier in deiner Vaterstadt alle die Taten, die dem Vernehmen nach in Kapernaum geschehen sind! 24 Doch glaubet mir! Kein Prophet ist bei den Leuten seines Heimatortes gern gesehen. 25 Als Beweis für diese Wahrheit führe ich euch die Tatsache an, dass es zur Zeit des Elia sicherlich viele Witwen unter seinem Volke Israel gab, damals nämlich, als der Himmel drei Jahre und sechs Monate dem Regen verschlossen blieb, und infolgedessen eine große Hungersnot im Lande herrschte. 26 Und doch wurde Elia zu keiner von diesen gesandt, sondern nur zu einer Witwe in Serepta, im Gebiet von Sidon. 27 Und sicherlich gab es viele Aussätzige in Israel zur Zeit des Propheten Elisa, und doch wurde kein einziger von ihnen vom Aussatz gereinigt, sondern nur der Syrer Naeman." 28 Bei diesen Worten gerieten alle seine Zuhörer in der Synagoge in die größte Wut. 29 Sie sprangen auf, stießen ihn zur Stadt hinaus und schleppten ihn auf einen Vorsprung der Anhöhe, in deren Nähe ihr Ort erbaut war, und wollten ihn dort hinabstürzen. 30 Er ging jedoch ruhig zwischen ihnen hindurch und entfernte sich.

31 Von hier begab er sich nach der Stadt Kapernaum. Sie liegt in Galiläa, an dem gleichnamigen See, im Gebiet von Zabulon und Nephthali. Am Sabbat pflegte er in der Synagoge zu predigen. 32 Alle waren jedesmal von seiner Lehre tief erschüttert; denn aus seiner Rede fühlte man die Wirkung einer höheren Kraft. 33 Eines Tages war in der Synagoge ein Mann anwesend, der von einem bösen Geist besessen war. Dieser rief mit lauter Stimme: 34 "Was hast du bei uns zu suchen, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns auf diese Weise zu Grunde zu richten? Ich weiß, wer du bist: Der Heilige Gottes." 35 Jesus gab ihm den strengen Befehl: "Verstumme und fahre von ihm aus!" Da schleuderte der Dämon den Mann zu Boden. Er fiel mitten unter sie und stieß dabei einen fürchterlichen Schrei aus. Dann fuhr der böse Geist von ihm aus, ohne ihn im geringsten beschädigt zu haben. 36 Alle waren vor Schrecken wie gelähmt, und einer sagte zum andern: "Welche Macht und Gewalt liegt doch in seinem Wort! Den bösen Geistern braucht er bloß zu befehlen, und sofort fahren sie aus." 37 Sein Ruf verbreitete sich überall in der ganzen Gegend.

38 Aus der Synagoge ging er in die Wohnung des Simon und Andreas. Simons Schwiegermutter lag in hohem Fieber. Sie baten ihn, ihr doch zu helfen. 39 Er ging zu ihr, beugte sich über sie und beschwor das Fieber. Sofort wurde sie fieberfrei, so dass sie aufstehen und sie bedienen konnte.

40 Nach Sonnenuntergang brachten alle, die Kranke in ihrer Familie hatten, - einerlei an welcher Krankheit sie litten - diese zu ihm. Jedem einzelnen Kranken legte er die Hände auf und heilte ihn. 41 Auch böse Geister fuhren von manchen Kranken aus. Sie pflegten dabei einen lauten Schrei auszustoßen und auszurufen: "Du bist der Sohn Gottes!" Dass sie wussten, er sei der Messias, durften sie nicht aussprechen, weil er es ihnen aufs Strengste untersagte.

42 Am andern Morgen stand er in aller Frühe auf und ging an einen einsamen Platz. Doch die Volksscharen suchten überall nach ihm. Endlich kamen sie auch an die Stelle, wo er war. Von jetzt ab wichen sie nicht mehr von seiner Seite, aus Furcht, er möchte von ihnen fortgehen. 43 Doch er redete ihnen zu. "Seht" - sagte er - "ich muss doch auch den andern Städten die Heilsbotschaft vom Reiche Gottes bringen. Denn zu diesem Zweck wurde ich ja gesandt." 44 Darauf predigte er in den Synagogen Galiläas.

Kapitel 5

1 Eines Tages stand er am See Genesaret. Die Volksmenge drängte sich um ihn, um das Wort Gottes zu hören. 2 Da sah er zwei Boote am Ufer liegen. Die Fischer waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3Eins dieser Boote gehörte dem Simon Petrus. In dies stieg er ein und bat ihn, ein wenig vom Lande abzustoßen. Dann setzte er  sich im Boot an den zum Predigen geeigneten Platz und begann seinen Lehrvortrag vor den Volksscharen. 4 Nach Schluss seiner Predigt sagte er zu Simon: "Fahret weiter in den See und werfet eure Netze zum Fischfang aus!" - 5 "Meister", - erwiderte Simon - "wir mühten uns die ganze Nacht hindurch ab, ohne etwas zu fangen; aber deiner Aufforderung will ich gern Folge leisten." 6 Und sofort warfen sie die Netze aus. Da fingen sie eine solche Menge Fische, dass die Netze zu zerreißen drohten. 7 Sie winkten ihren Genossen, die in dem andern Boot waren, sie möchten heranrudern und ihnen helfen. Diese kamen mit ihrem Boot heran, und man füllte beide Boote so mit Fischen, dass sie beinahe sanken. 8 Als Simon Petrus das sah, fiel er vor Jesus auf die Knie und rief aus: "Ich bitte dich, Herr, geh weg von mir! Denn ich bin ein sündiger Mensch." 9 Beim Anblick der Menge Fische, die sie gefangen hatten, erfasste ihn nämlich ein Schauder. 10 Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, waren mit Simon zusammen. Jesus wandte sich an sie mit den Worten: "Wohlan! Ihr sollt nicht mehr länger Fische fangen; sondern ich will euch zu Menschenfischern machen." 11 Auf dieses Wort hin verließen sie, sobald sie am Lande waren, alles und gingen mit ihm.

12 Als er in einer der Städte sich aufhielt, traf er bei einer Gelegenheit einen Mann, der über und über mit Aussatz bedeckt war. Sobald dieser ihn erblickte, warf er sich vor ihm auf sein Angesicht nieder und rief: "Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen. 13 Jesus streckte seine Hand aus, berührte ihn und sprach: "Ich will es, sei rein!" Sofort war er vom Aussatz befreit. 14 Jesus schärfte ihm ein, niemand etwas davon zu sagen und gab ihm die Weisung: "Gehe hin und zeige dich dem Priester! Bringe auch das Opfer dar, das Mose angeordnet hat, damit es euch als Beweis der erfolgten Reinigung gelten soll." 15 Doch kaum war er fort, da erzählte er es jedem. So verbreitete sich die Kunde davon wie ein Lauffeuer in der ganzen Gegend. Die Folge davon war, dass Jesus am hellen Tage keine Stadt mehr betreten konnte, ohne dass alles zu ihm strömte. Darum kehrte er wieder nach Kapernaum zurück. Sein Ruf verbreitete sich immer mehr. Überall kamen die Leute scharenweise zu ihm, um ihn sprechen zu hören und sich von ihren Krankheiten heilen zu lassen. 16 Er zog sich jedoch immer wieder an einsame Stellen zurück und widmete sich dort dem Gebete.

17 Eines Tages wohnten die Pharisäer und Gesetzeslehrer seiner Predigt bei. Auch große Volksscharen aus allen Ortschaften Galiläas und Judäas hatten sich eingefunden, um Heilung für ihre Kranken zu suchen. 18 So brachten auch einige Männer auf einem Tragbett einen Kranken, der gelähmt war. Sie wollten ihn in das Haus tragen und vor den Füßen Jesu niedersetzen. 19 Aber wegen der Volksmenge fanden sie keine Möglichkeit, mit ihm hinein zu gelangen. Da stiegen sie auf das Dach, deckten über der Stelle, wo Jesus saß, die Ziegel ab und ließen das Tragbett mit dem Gelähmten durch die Öffnung hinunter mitten zwischen die Menge, dicht vor Jesus. 20 Als dieser ihr Vertrauen sah, sprach er: "Mein lieber Mann, deine Sünden sollen von dir genommen werden!" 21 Da dachten die Schriftgelehrten und Pharisäer bei sich: "Wer ist dieser denn, dass er solche Gotteslästerungen auszusprechen wagt? Denn wer sonst könnte Sünden wegnehmen, als nur der Eine, nämlich Gott?" 22 Jesus kannte ihre Gedanken und richtete folgende Frage an sie: "Was sind das für verkehrte Gedanken, die ihr in euren Herzen hegt? 23 Was ist denn leichter? zu sagen: deine Sünden sollen von dir genommen werden, - oder zu sagen: Stehe auf und gehe umher? 24 Ihr sollt nun erfahren, dass der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden wegzunehmen." Nun wandte er sich an den Gelähmten mit den Worten: "Ich befehle dir stehe auf, nimm dein ärmliches Bettzeug und gehe heim!" 25 Vor den Augen aller stand er sofort auf, nahm sein Bettzeug und ging nach Hause und pries Gott. 26 Eine große innere Erregung hatte alle erfasst, und einer sagte zum andern: "Unglaubliche Dinge haben wir heute erlebt."

27 Dann ging Jesus am See entlang, und alles hinter ihm her. Wieder hielt er eine Ansprache an die Menge und ging dann weiter. Da sah er Levi, den Sohn des Alphäus, an der Zollstätte sitzen. Er richtete an ihn die Aufforderung: "Komm mit mir!" 28 Sofort ließ jener alles im Stich und ging mit ihm. 29 Levi gab ihm zu Ehren in seinem eigenen Hause ein Festmahl. Eine große Anzahl von Zöllnern und andern Gästen nahm am Mahle teil. 30 Da wandten sich die Pharisäer und die zu ihrer Partei gehörenden Schriftgelehrten in großem Unwillen mit der Frage an seine Jünger: "Warum seid ihr bei diesen Zöllnern zu Gast?" 31 Die Antwort auf diese Frage erteilte ihnen Jesus selbst. "Nicht die Gesunden" - sagte er - "haben den Arzt nötig, sondern die Kranken. 32 Ich bin nicht gekommen, um Gottestreue zu einer Sinnesänderung zu veranlassen, sondern Gottlose." 33 Weiter hielten sie ihm vor: "Die Jünger des Johannes fasten streng und halten besondere Gebetsstunden. Ebenso die Jünger der Pharisäer. Aber deine Jünger tun nichts von alledem." 34 Jesus entgegnete: "Ihr könnt den Hochzeitsgästen doch wohl nicht zumuten, zu fasten, solange der Bräutigam in ihrer Mitte ist. 35 Aber es werden auch für sie Fasttage kommen. Die Tage nämlich, an denen ihnen der Bräutigam genommen ist - das werden Fasttage für sie sein." 36 Er gebrauchte dann noch folgenden Vergleich: "Niemand" - sagte er - "schneidet einen Lappen von einem neuen Kleid ab und setzt ihn auf ein altes. Sonst würde er ja das neue Kleid zerschneiden, und der neue Flicken würde zu dem alten Kleid doch nicht passen. 37 Auch soll niemand jungen Wein in alte Schläuche füllen. Sonst sprengt der junge Wein die alten Schläuche, und der Wein läuft aus und die Schläuche sind entzwei. 38 Jungen Wein muss man in neue Schläuche füllen. Dann bleiben beide erhalten. 39 Auch mag keiner, der alten Wein gewohnt ist, so leicht den neuen. Er sagt sich: Der alte schmeckt mir gut genug."

Kapitel 6

1 Eines Tages - es war am ersten Sabbat nach dem zweiten Ostertag - wanderte Jesus durch Kornfelder. Seine Jünger begannen sich Ähren abzupflücken, zerrieben sie mit ihren Händen und aßen die Körner. 2 Da machten ihn einige von den Pharisäern darauf aufmerksam. "Siehe doch", - sagten sie - "warum tun deine Jünger da etwas, das am Sabbat nicht gestattet ist?" - 3 "Habt ihr denn noch nie gelesen", - entgegnete Jesus - "was David tat, als er und seine Begleiter Hunger hatten? 4 Wie er ins Gotteshaus ging, dort die Schaubrote nahm und davon aß und auch seinen Begleitern davon gab, obgleich doch nur die Priester sie essen dürfen?" - 5 An demselben Tage sah er jemand arbeiten, ehe der Sabbat vorüber war. Er sagte zu ihm: "Mein lieber Mann! Wenn du weißt, was du tust, dann bist du glücklich zu preisen. Weißt du es aber nicht, dann bist du einer, der vom Gesetz verflucht wird, weil er es übertreten hat." - 6 An einem andern Sabbat kam er wieder in die Synagoge. Dort befand sich ein Mann, der einen erstorbenen Arm hatte. 7 Die Schriftgelehrten und Pharisäer saßen auf der Lauer, ob er wohl am Sabbat eine Heilung vornehmen würde, um dann einen Grund zu haben, gegen ihn vorzugehen. 8 Er kannte ihre Absichten. Trotzdem wandte er sich an den Mann mit dem erstorbenen Arm und sprach: "Erhebe dich und stelle dich hier in die Mitte der Gemeinde!" Jener erhob sich und trat vor. 9 Darauf richtete Jesus folgende Worte an die Anwesenden: "Ich frage euch, ob es am Sabbat gestattet ist, Gutes zu tun oder Böses; ein Leben zu retten oder es zu Grunde gehen zu lassen?" Sie aber schwiegen. 10 Da schaute er sie alle mit zornigem Blicke an. Dann sagte er zu dem Manne: "Strecke deinen Arm aus! Er tat es, und sein Arm war so gesund wie der andere. Er schloss mit den Worten: "Der Sohn Gottes ist Herr sowohl über den Menschen als auch über den Sabbat." 11 Da gerieten sie außer sich vor Wut und beratschlagten miteinander, auf welche Weise sie ihn aus dem Wege schaffen könnten.

12 Eines Tages ging er hinaus auf eine Anhöhe, um zu beten. Die ganze Nacht brachte er dort im Gebete zu. 13 Bei Tagesanbruch rief er seine Jünger zu sich und wählte sich aus ihnen folgende zwölf aus, die er auch 'Apostel' nannte: 14 Zunächst den Simon, dem er auch den Namen 'Petrus' gab, sowie dessen Bruder Andreas; dann Jakobus und seinen Bruder Johannes, die er 'Boanerges' nannte, das heißt 'Donnersöhne'. Dann Philippus und Bartholomäus; 15 dann Matthäus und Thomas; letzterer hatte den Beinamen 'der Zwilling'. Dann Jakobus, den Sohn des Alphäus und Simon mit dem Beinamen 'der Eiferer'; 16 dann Judas, den Sohn des Jakobus und Judas Ischariot, der zum Verräter an ihm wurde.

17 Dann stieg er mit ihnen hinab. An einer Stelle, wo der Boden flach war, rastete er. Eine große Schar seiner Jünger und eine zahlreiche Volksmenge sammelte sich um ihn. Sie waren aus allen Teilen des jüdischen Landes und aus andern Gebieten herbeigeströmt, um ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden. 18 Auch die, welche von bösen Geistern gequält wurden, fanden Heilung. 19 Jeder aus der Menge suchte eine Gelegenheit, ihn auch nur berühren zu können. Denn eine Kraft strömte von ihm aus und heilte alle.

20 Dann richtete er seine Blicke auf die Jünger und sprach: "Glücklich zu preisen seid ihr, die ihr euch so bettelarm vor Gott fühlt: denn die Geisterwelt Gottes tritt mit euch in Verbindung."

21 "Glücklich zu preisen seid ihr, die ihr jetzt ein großes Verlangen nach der Wahrheit habt; denn euer Verlangen wird gestillt werden."

 "Glücklich zu preisen seid ihr, die ihr jetzt die Gottlosigkeit der Welt beklaget; denn ihr werdet mit Freude erfüllt werden."

22 "Glücklich zu preisen seid ihr, wenn euch die Menschen hassen wenn sie euch aus ihrer Gemeinschaft ausstoßen, euch schmähen und euren Namen in üblen Ruf bringen, weil ihr euch zum Menschensohn bekennet; 23 Freuet euch an einem solchen Tage und jubelt; denn groß wird euer Lohn im Jenseits sein. Ihre Vorfahren pflegten ja die, welche Gottes Werkzeuge waren, in derselben Weise zu behandeln."

24 "Doch wehe euch, die ihr euer Herz an den Reichtum hängt; denn damit habt ihr alles, was euch zukommt."

25 "Wehe euch, die ihr in diesem Leben übersättigt seid; denn in einem andern Leben werdet ihr darben müssen."

 "Wehe euch, die ihr in diesem Leben euer Hohngelächter erschallen lasst, denn in einem andern Leben werdet ihr weinen und wehklagen."

26 "Wehe, wenn man euch umschmeichelt; denn früher pflegte man denen gegenüber, die Werkzeuge der bösen Geisterwelt waren, dasselbe zu tun."

27 "Andererseits möchte ich euch aber, die ihr auf meine Worte hört, noch folgendes sagen: Nehmet euch auch derer liebevoll an, die euch nicht wohlgesinnt sind! Behandelt auch die zuvorkommend, die sich um euch nicht kümmern; 28 redet vernünftig mit denen, die Verwünschungen gegen euch ausstoßen, und betet für die, welche euch Schaden zufügen. 29 Schlägt dir jemand auf die eine Wange, weil du es verdient hast, so halte ihm auch die andere hin; und wer dir das Unterkleid wegnehmen will, weil du es ihm verpfändet hast, dem verweigere auch nicht den mitverpfändeten Mantel. 30 Wer etwas von dir verlangt, was du ihm versprochen hattest, dem gib es, und wenn dir jemand berechtigter Weise das Deine wegnimmt, von dem fordere es nicht zurück. 31 Wie ihr von euren Mitmenschen behandelt zu werden wünscht, so sollt ihr auch sie behandeln."

32 "Wenn ihr nun bloß die liebt, die euch lieben, welchen Anspruch auf Lohn habt ihr dann? Auch die Gottlosen lieben die, welche ihnen Liebe erweisen. 33 Und wenn ihr nun denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Anspruch auf Lohn habt ihr dann? Denn die Gottlosen handeln ebenso. 34 Und wenn ihr nur denen ein Geschenk gebet, von denen ihr ebenfalls Geschenke erhoffet, welchen besonderen Lohn könnt ihr dann erwarten? Denn auch die Gottlosen machen andern Gottlosen Geschenke in der Erwartung, auch von ihnen beschenkt zu werden. 35 Ich betone noch einmal: Nehmet euch derer liebevoll an, die euch nicht wohlgesinnt sind. Tuet denen Gutes und machet denen Geschenke, bei denen ihr keine Hoffnung haben könnt, etwas wiederzuerlangen. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr erweiset euch als Kinder des Allerhöchsten. Denn auch er ist gut gegen Undankbare und Böse. 36 Zeigt euch barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! 37Richtet andere nicht, damit auch ihr nicht gerichtet werdet; verurteilt andere nicht, damit auch ihr nicht verurteilt werdet! Sprechet die  frei, die sich gegen euch vergangen haben; dann werdet auch ihr von euren Vergehen freigesprochen werden! 38 Gebt, so wird auch euch gegeben werden; und zwar ein reichliches, festgedrücktes, gerütteltes und übervolles Maß wird man euch in den Schoß schütten. Denn mit demselben Maß, mit dem ihr andern messet, wird euch wieder gemessen werden."

39 Er führte ihnen noch ein Gleichnis an: "Kann wohl ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? 40 Der Jünger steht nicht über dem Meister. Jeder Jünger, auch der am meisten fortgeschrittene, wird höchstens wie sein Meister sein. 41 Was siehst du den Splitter in dem Auge deines Bruders, doch den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht? 42 Oder wie darfst du zu deinem Bruder sagen: Lass mich den Splitter aus deinem Auge ziehen, so lange noch der Balken in deinem eigenen Auge steckt? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; nachher magst du sehen, wie du den Splitter aus dem Auge deines Bruders ziehst! - 43 Es gibt keinen gesunden Baum, der faule Früchte bringt und umgekehrt keinen kranken Baum, der gesunde Früchte bringt. 44 Jeden Baum erkennt man an den Früchten, die auf ihm wachsen. An Disteln pflückt man ja keine Feigen, und an einem Dornbusch kann man keine Trauben lesen. 45 Ein guter Mensch holt aus seinem Herzen als der Schatzkammer des Guten nur Gutes hervor; ein böser Mensch jedoch aus seiner Schatzkammer des Bösen nur Böses. Denn wovon das Herz voll ist, davon läuft der Mund über. - 46 Warum ruft ihr mir immer 'Herr, Herr' zu, wenn ihr doch nicht tut, was ich euch sage? 47 Jeder, der zu mir kommt und meinen Worten lauscht und dann auch danach handelt, - ich will euch zeigen, wem der gleicht. 48 Er gleicht einem Manne, der ein Haus baute. Beim Ausgraben der Fundamente ging er in die Tiefe, um das Fundament auf den Felsen zu legen. Da kam Hochwasser, und die Flut stieß an dieses Haus. Doch sie vermochte es nicht zu erschüttern, weil seine Fundamente auf Felsen ruhten. 49 Wer jedoch meine Worte zwar hört, aber nicht danach handelt, der gleicht einem Manne, der ein Haus ohne Fundamente baute. Als die Flut dagegen stieß, stürzte es zusammen, und es wurde ein großer Trümmerhaufen."

Kapitel 7

1 Nach Beendigung dieser Predigt kehrte Jesus nach Kapernaum zurück. 2 Dort lag der Diener eines Hauptmannes, der diesem besonders lieb und wert war, todkrank danieder. 3 Als nun der Hauptmann von der Ankunft Jesu hörte, sandte er jüdische Älteste mit der Bitte zu ihm, er möge doch kommen und seinen Diener retten. 4 Diese kamen zu Jesus und trugen ihm die Bitte vor. Um sie ihm besonders eindringlich ans Herz zu legen, erzählten sie ihm: 5 "Dieser Mann verdient es, dass du ihm seine Bitte gewährst. Denn er liebt unser Volk und hat uns sogar die Synagoge gebaut." 6 Jesus ging mit ihnen. Schon war er in der Nähe seines Hauses, da schickte der Hauptmann Freunde zu ihm und ließ ihm sagen: "Herr, bemühe dich nicht persönlich zu mir. Denn ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach trittst. 7 Es genügt ja ein Wort von dir, und mein Diener wird gesund sein. 8 Auch ich bin ein Mann, der dem Befehl von Vorgesetzten untersteht und habe selbst Soldaten, die meinem Befehl unterstellt sind. Sage ich nun zu einem von ihnen: Gehe hin! - so geht er; und zu einem andern: Komm her! - so kommt er; und zu meinem Diener: Tue das! - so tut er's." 9 Als Jesus das hörte, staunte er über ihn. Er wandte sich zu der ihn begleitenden Volksmenge mit den Worten: "Ich muss sagen, dass ich in Israel noch niemals einen solchen Glauben gefunden habe." 10 Als dann die Boten in das Haus des Hauptmanns zurückkehrten, fanden sie den Knecht bereits von seiner Krankheit genesen.

11 Ein anderes Mal kam Jesus in eine Stadt, die Naim hieß. Seine Jünger und eine große Volksmenge begleiteten ihn. 12 Als er in die Nähe des Stadttores kam, brachte man eben einen Toten heraus. Es war der einzige Sohn seiner Mutter, und die war Witwe. Viele Leute aus der Stadt gingen mit ihr im Leichenzug. 13 Als Jesus die Mutter erblickte, fühlte er tiefes Mitleid mit ihr. Er wandte sich an sie mit den Worten: "Weine nicht!" 14 Dann trat er an den Sarg und berührte ihn mit der Hand. Da blieben die Leichenträger stehen. Nun rief er mit lauter Stimme: "Jüngling, Jüngling! Ich sage dir: Stehe auf!" 15 Der Tote richtete sich auf und fing an zu sprechen. Er übergab ihn seiner Mutter. 16Alle Anwesenden zitterten an allen Gliedern vor Aufregung. Sie priesen Gott und sagten: "Ein großer Gesandter Gottes ist unter uns  aufgetreten, und Gott hat wieder die Leitung seines Volkes übernommen.

17 Die Kunde hiervon verbreitete sich im ganzen jüdischen Lande und in allen angrenzenden Gebieten. 18 Sie drang auch bis zu Johannes dem Täufer. Dieser ließ zwei von seinen Jüngern zu sich kommen 19und gab ihnen den Auftrag: "Gehet und fraget ihn: Bist du es, der da kommen soll, oder haben wir einen andern zu  erwarten?" 20 Als die Männer vor Jesus erschienen, richteten sie den Auftrag aus. "Johannes der Täufer" - sagten sie - "hat uns zu dir geschickt und lässt dich fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder haben wir einen andern zu erwarten?" 21 Jesus war gerade daran, viele von ihren Krankheiten und schmerzhaften Gebrechen zu heilen, böse Geister auszutreiben und Blinden das Augenlicht wiederzugeben. 22 Darum gab er ihnen folgende Antwort: "Gehet hin und berichtet dem Johannes alles, was ihr mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört habt: Blinde erlangen ihr Augenlicht wieder; Lahme können wieder gehen; Aussätzige werden rein; Taube hören; Tote stehen auf; Armen wird die Heilsbotschaft gepredigt; 23 und glücklich zu preisen ist, wer sich in seinem Glauben an mich durch nichts irre machen lässt."

24 Als die Boten des Johannes sich wieder entfernt hatten, begann Jesus zum Volke über die Persönlichkeit des Johannes zu reden. "Was wolltet ihr sehen", - fragte er - "als ihr damals in die Wüste hinauszogt? Etwa ein Schilfrohr, das vom Winde hin und her bewegt wird? 25 Oder wozu seid ihr hinausgezogen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Gewändern sehen? Leute, die in Prunkgewändern einhergehen und in Üppigkeit leben, sind in den Königspalästen zu finden. 26 Oder wozu seid ihr hinausgezogen? Wolltet ihr einen Gesandten Gottes sehen? Ja, ich beteuere euch: Er ist ein besonders großer Gesandter Gottes. Denn von allen Gesandten Gottes, die von einem Weibe geboren sind, ist keiner größer als Johannes der Täufer. 27 Er ist's, von dem geschrieben steht: 'Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her. Er soll dir den Weg bereiten'. 28 Ich betone jedoch, dass der Eine, der nach ihm geboren wurde, in der Geisterwelt Gottes größer ist als er. 29 Indem das ganze Volk, das seiner Predigt lauschte, und selbst die Zöllner, sich von Johannes taufen ließen, erkannten sie ihn als Gottgesandten an. 30 Nur die Pharisäer und Gesetzeskundigen ließen sich nicht von ihm taufen und haben dadurch die Absicht Gottes für ihre Person vereitelt. 31Womit soll ich nun eine solche Sorte von Menschen vergleichen? Wem sind sie  ähnlich? 32 Sie sind Kindern ähnlich, die auf einem öffentlichen Platz sitzen und abwechselnd das Liedchen singen: 'Bliesen auf Flöten wir muntere Weisen, - dann tanztet ihr nicht in wirbelnden Reigen; stimmten wir Lieder der Trauer an, - euch keine Träne ins Auge kam.' 33 Denn Johannes der Täufer trat auf. Er aß kein Brot und trank keinen Wein. Da sagtet ihr: Er ist vom Teufel besessen! 34 Dann kam der Menschensohn. Er isst und trinkt, wie andere Menschen. Nun sagt ihr: Seht den Fresser und Weinsäufer, den Freund der Zöllner und Dirnen. 35 Und doch hat sich die von beiden gepredigte Weisheitslehre an allen denen als echt erwiesen, die sie annahmen."

36 Einer von den Pharisäern lud ihn zum Mahle ein. So ging er denn zu ihm in die Wohnung und legte sich zu Tisch. 37 Nun lebte in dieser Stadt ein Weib, das als Dirne bekannt war. Als sie erfuhr, dass Jesus bei dem Pharisäer zu Tische lag, nahm sie ein Alabastergefäß mit Salböl mit 38 und trat von hinten dicht an seine Füße heran. Sie brach in Tränen aus und benetzte damit seine Füße und trocknete sie mit ihrem Haupthaar ab. Dann küsste sie ihm die Füße und salbte sie mit Öl. 39 Als der Pharisäer, bei dem Jesus zu Tisch war, dies sah, dachte er im Stillen: "Wenn dieser wirklich ein Prophet wäre, so müsste er wissen, wer das ist und welcher Sorte von Weibern die angehört, die ihn berührt - dass sie nämlich eine Dirne ist." 40 Da wandte sich Jesus mit den Worten an ihn: "Simon, ich habe dir etwas zu sagen." - "Meister, so sprich doch!" - entgegnete jener. 41 "Ein Geldverleiher" - fuhr Jesus fort - "hatte zwei Schuldner. Der eine schuldete ihm vierhundert Mark, der andere vierzig. 42 Da sie aber den Betrag nicht zurückzahlen konnten, schenkte er beiden die Schuld. Wer von beiden wird ihn nun nach deiner Ansicht am meisten lieben?" 43 Simon antwortete: "Ich denke der, dem er das meiste geschenkt hat." - "Du hast recht geurteilt!" - erwiderte Jesus. 44Und indem er seine Augen auf das Weib gerichtet hielt, sprach er zu Simon:  "Siehst du dieses Weib? Ich kam in dein Haus, und du gabst mir kein Wasser für meine Füße. Sie aber netzte sie mir mit ihren Tränen und trocknete sie mit ihrem Haar. 45 Du gabst mir keinen Kuss der Begrüßung. Sie aber küsste, seit sie hier ist, immer wieder meine Füße. 46 Du salbtest mein Haupt nicht einmal mit gewöhnlichem Öl. 47 Sie aber salbte es mit echtem Salböl. Darum sage ich dir: Ihr soll vieles vergeben werden!" 48 Und zu ihr gewendet fuhr er fort: "Deine Sünden sollen von dir genommen werden!" Da dachten die andern Gäste bei sich: 49 "Wer ist denn dieser, dass er sogar Sünden wegnehmen will?" 50 Dann sagte er zu dem Weibe: "Dein gläubiges Vertrauen hat dich gerettet; gehe hin in Frieden!"

Kapitel 8

1 In der folgenden Zeit zog er durch das Land, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, lehrte auf den öffentlichen Plätzen und verkündete die Heilsbotschaft vom Reiche Gottes. In seiner Begleitung waren seine zwölf Jünger 2 und einige Frauen, die er von der Besessenheit und andern Krankheiten geheilt hatte. Dazu gehörten Maria, mit dem Beinamen Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren; 3 ferner Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes, Susanna und viele andere, die mit ihrem Vermögen für seine Bedürfnisse sorgten.

4 Eines Tages war wieder eine ungeheure Volksmenge um ihn, die noch vermehrt wurde durch den Zustrom der Einwohner der betreffenden Stadt. Bei dieser Gelegenheit trug er ihnen folgendes Gleichnis vor: 5 "Ein Sämann ging aus und säte seinen Samen. Beim Säen fiel nun ein Teil des Samens auf den festgetretenen Feldpfad und wurde zertreten, und die Vögel fraßen ihn auf. 6 Ein anderer Teil fiel auf felsige Stellen im Acker. Kaum war er aufgegangen, da verdorrte er, weil ihm die Feuchtigkeit fehlte. 7 Ein anderer Teil fiel mitten unter die Distel-keime. Diese gingen mit auf und erstickten ihn. 8 Ein anderer endlich fiel auf guten Boden. Er ging auf und trug hundertfältige Frucht." Nach diesen Worten rief er aus: "Wer das rechte Verständnis dafür hat, der merke es sich!" 9 Da fragten ihn seine Jünger nach dem Sinn des Gleichnisses. 10 "Euch ist es gegeben", - entgegnete er - "die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen. Den andern aber müssen sie in Gleichnissen vorgetragen werden, damit sie sehen und doch nicht sehen, hören und doch nichts verstehen. 11 Die Deutung des Gleichnisses ist folgende: Der Same ist das Wort Gottes. 12 Bei denen der Same auf den festgetretenen Feldpfad fiel, sind die, welche Gottes Wort hören. Aber sofort kommt der Teufel und nimmt es ihnen aus dem Herzen fort, damit sie nicht zum Glauben gelangen und dadurch gerettet werden. 13 Bei denen der Same auf felsige Stellen fiel, sind die, welche das Wort der Wahrheit mit Freuden annehmen, sobald sie es zum erstenmal hören. Doch es schlägt bei ihnen keine Wurzel. Sie glauben eine Zeitlang, aber zur Zeit, wo sie eine Probe zu bestehen haben, fallen sie ab. 14 Bei denen der Same unter die Disteln fiel, das sind solche, die das Wort der Wahrheit hörten; doch sie haben soviel zu tun mit ihren irdischen Sorgen, mit Geldverdienen und den Vergnügungen des Alltagslebens, dass das Wort Gottes in all dem vollständig untergeht und nicht zur Frucht heranreifen kann. 15 Bei denen der Same auf guten Boden fiel, sind die, welche das vernommene Gotteswort in gutem Herzen bewahren und es durch beharrliche Arbeit zur Reife bringen. - 16 Niemand zündet ein Licht an und deckt es dann mit einem Gefäß zu oder stellt es unter das Bett; sondern auf einen Leuchter stellt er es, damit alle beim Betreten des Raumes den Lichtschein sehen können. 17 Es gibt ja überhaupt nichts Verborgenes, von dem nicht die Hülle genommen wird, und kein Geheimnis, das nicht allgemein bekannt würde und ans Tageslicht käme. 18 Sehet einmal zu, auf welche Weise ihr euch meine Worte erklärt. Wer nämlich an einer empfangenen Gabe Gottes treu festhält, der wird noch weitere Gaben erhalten; wer aber daran nicht treu festhält, dem wird auch die Gabe noch genommen, die er zuerst besaß."

19 Seine Mutter und seine Brüder kamen an und wollten zu ihm. Aber wegen der dichtgedrängten Volksmenge war es ihnen nicht möglich. 20 Da teilte man ihm mit: "Dahinten stehen deine Mutter und deine Brüder und wollen zu dir." 21 Er gab zur Antwort: "Nur die betrachte ich als meine Mutter und meine Brüder, welche Gottes Wort hören und befolgen."

22 Eines Tages bestieg er aus eigenem innern Antrieb ein Boot. Seine Jünger stiegen mit ihm ein. Da sagte er zu ihnen: "Wir wollen auf die andere Seite des Sees fahren." So stießen sie denn vom Lande ab. 23Während  der Fahrt schlief er ein. Plötzlich fegte ein furchtbarer Sturm über den See dahin. Das Boot füllte sich mit Wasser, und sie gerieten in Lebensgefahr. 24 Da traten sie zu ihm und weckten ihn mit dem Ruf: "Herr, Herr, wir gehen unter!" Sofort stand er auf, gab Sturm und Wogen seine strengen Befehle und alles wurde ruhig, und der Meeresspiegel glättete sich. 25 Dann wandte er sich an seine Jünger mit den Worten: "Wo bleibt denn euer Gottvertrauen?" Zittern und Staunen hatte diese erfasst, und einer fragte den andern: "Wer kann das wohl sein? Sturm und Wogen gibt er seine Befehle, und sie müssen ihm gehorchen!"

26 Sie fuhren dann nach dem Lande der Gerasener, das Galiläa gegenüber liegt. 27 Kaum war er dort ans Land gestiegen, da kam ihm von der Stadt her ein Mann entgegen, der schon seit geraumer Zeit von bösen Geistern besessen war. Er hatte keine Kleider an und hielt sich auch nicht in menschlichen Wohnungen auf, sondern in den Grabkammern. 28 Als er Jesus erblickte, stieß er einen furchtbaren Schrei aus und rief: "Was hast du mit mir vor, du Sohn des Allerhöchsten? Ich bitte dich, quäle mich nicht!" 29 Jesus war nämlich gerade im Begriff, dem bösen Geist den Befehl zu erteilen: "Fahre aus dem Manne aus!" Denn schon manches Mal hatte er Besitz von ihm ergriffen. Zwar hatte man in solchen Fällen versucht, ihn in Fesseln und Ketten zu legen und einzusperren. Aber jedesmal zerriss er die Ketten und wurde von dem Dämon in die Einöden getrieben. 30 Jesus richtete nun die Frage an ihn: "Wie ist dein Name?" Seine Antwort lautete: "Mein Name ist Legion'!" Es waren nämlich viele Dämonen in ihm. 31 Dann flehten sie ihn immer wieder an, er möchte sie doch nicht in den Abgrund der Hölle schicken. 32 Zufällig weidete dort an einem Bergesabhang eine Schweineherde. Sie baten ihn um Erlaubnis, in die Schweine fahren zu dürfen. Er gestattete es ihnen. 33 Da fuhren die Dämonen aus dem Manne aus und in die Schweine hinein. Die Herde stürmte den Abhang hinab in den See und ertrank. 34 Bei diesem Anblick flohen die Hirten und meldeten den Vorfall in der Stadt und auf den Gehöften. 35 Da eilten die Leute aus der Stadt herbei. Sie sahen, wie der frühere Besessene jetzt ganz vernünftig und anständig gekleidet zu den Füßen Jesu saß. 36 Bei diesem Anblick gerieten sie in Schrecken. Die Augenzeugen erzählten ihnen dann, wie der Besessene geheilt worden sei. 37 Darauf baten ihn alle Bewohner der Stadt und auch die Landbevölkerung des Gebietes der Gerasener, er möchte doch ihr Land verlassen. Denn eine gewaltige Angst hatte sie ergriffen. Jesus bestieg sein Boot und war schon im Begriffe abzufahren, 38 da bat ihn der Mann, aus dem die Dämonen ausgefahren waren, doch bei ihm bleiben zu dürfen. Er aber schickte ihn heim mit den Worten: 39 "Gehe nach Hause und erzähle dort, eine wie große Wohltat dir Gott erwiesen hat!" Auf dem Heimweg erzählte er in der ganzen Stadt, wie Großes Jesus an ihm getan habe.

40 Das Volk bereitete Jesus bei seiner Rückkehr einen freudigen Empfang. Denn alle hatten sehnsüchtig auf ihn gewartet. 41 Da kam ein Mann namens Jairus zu ihm. Dieser war damals Synagogenvorsteher. Er warf sich vor ihm nieder und bat ihn, in sein Haus zu kommen. 42 Denn er hatte nur eine Tochter, im Alter von zwölf Jahren, und diese lag am Sterben. Auf dem Hinweg drängte sich eine dichte Volksmenge um ihn. 43 Darunter befand sich eine Frau, die schon seit zwölf Jahren am Blutfluss litt, und die niemand hatte heilen können. 44 Sie drängte sich nahe an ihn heran und berührte seinen Mantel. Sofort hörte der Blutfluss bei ihr auf. 45 Jesus hatte gemerkt, dass eine Kraft von ihm ausgegangen war und fragte: "Wer hat mich berührt?" Keiner wollte es jedoch getan haben. Da sagte Petrus und die andern, die bei ihm waren; "Meister! Das Volk drängt sich doch von allen Seiten an dich heran und stößt fortwährend gegen dich." 46 Jesus - aber erwiderte: "Es hat mich jemand absichtlich angefasst. Denn ich merkte, wie eine Kraft von mir ausging." 47 Nun sah die Frau, dass sie die Sache nicht länger verheimlichen konnte. Zitternd kam sie herbei, fiel vor ihm nieder und bekannte vor dem ganzen Volke, aus welchem Grunde sie ihn berührt habe, und wie sie sofort gesund geworden sei. 48 "Meine Tochter", - entgegnete Jesus - "dein gläubiges Vertrauen hat dir Rettung gebracht; gehe in Frieden!"

49 Während er noch redete, kamen die Boten aus dem Hause des Synagogenvorstehers zu diesem mit der Meldung: "Deine Tochter ist tot. Du brauchst also den Meister nicht weiter zu belästigen." 50 Jesus hörte dies und sagte zum Synagogenvorsteher: "Verzage nicht! Habe nur Vertrauen, und sie wird wieder zum Leben kommen!" 51 Er ging nun zu dem Hause, ließ aber niemand mit hineingehen als nur den Petrus, Jakobus und Johannes und die Eltern des Mädchens. 52 Alles weinte und wehklagte um die Tote. Er aber sagte: "Weinet doch nicht! Sie ist ja gar nicht tot, sondern schläft nur!" 53 Da lachten sie ihn aus; denn sie wussten nur zu gut, dass sie tot war. 54 Er fasste nun das Mädchen bei der Hand und rief ihr zu: "Mädchen, wache auf!" 55 Sofort kehrte ihr Geist in sie zurück und sie erhob sich. Er sagte, man möge ihr zu essen geben. 56 Ihre Eltern waren vor Staunen ganz außer sich. Er verbot ihnen, über den Vorfall mit irgend jemand zu sprechen.

Kapitel 9

1 Ein andermal rief er seine Zwölf zu sich und gab ihnen die Kraft und Macht über alle Arten von bösen Geistern, sowie zur Heilung von Krankheiten. 2 Er sandte sie aus, um das Reich Gottes zu verkünden und die Kranken gesund zu machen. 3 Dabei gab er ihnen folgende Weisung: "Nehmt nichts mit auf den Weg, - keinen Stab und keine Reisetasche, kein Brot und kein Geld! Auch sollt ihr nicht zwei Unterkleider bei euch haben! 4 Habt ihr in einem Hause Aufnahme gefunden, so soll es euch als Heim dienen, bis ihr weiter geht. 5 Verweigert man euch jedoch an irgend einem Orte die Aufnahme, dann verlasset diesen Ort und schüttelt selbst den Staub von euren Füßen zum Zeugnis gegen sie." 6So machten sie sich denn auf den Weg. Sie wanderten von  Ort zu Ort und verkündeten überall die Heilsbotschaft und heilten die Kranken.

7 Inzwischen hatte auch der Vierfürst Herodes von den Taten Jesu gehört und wurde dadurch sehr beunruhigt. Denn manche behaupteten, Johannes sei in Jesus von den Toten wieder auferstanden. 8 Andere freilich meinten, Elia sei in ihm wieder zur Welt gekommen; wieder andere glaubten, einer von den alten Propheten sei in ihm wiedergeboren. 9 Herodes pflegte zu sagen: "So viel ist sicher: Ich selbst habe Johannes enthaupten lassen. Wer mag also dieser Mann da sein, von dem ich so gewaltige Dinge höre?" Und er suchte nach einer Gelegenheit, Jesus persönlich kennen zu lernen.

10 Bei der Rückkehr erstatteten die Apostel ihrem Meister über alles Bericht, was sie auf ihrer Reise getan und erlebt hatten. Da nahm er sie mit an einen Ort, namens Bethsaida, weil er mit ihnen allein sein wollte. 11 Doch kaum hatten die Volksscharen sein Weggehen bemerkt, so folgten sie ihm auf dem Fuße. Trotzdem nahm er sie freundlich an und redete zu ihnen vom Reiche Gottes. Auch machte er bei dieser Gelegenheit alle, die der Heilung bedurften, gesund. 12 Als der Tag zur Neige ging, wandten sich die Zwölf mit der Bitte an ihn: "Schicke die Leute weg, damit sie in den im weiteren Umkreis liegenden Ortschaften und Gehöften einkehren; denn hier befinden wir uns in einer unbewohnten Gegend." 13 Er entgegnete: "Gebt ihr ihnen doch zu essen!" Doch sie erwiderten: "Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische. Wir müssten also hingehen und die fehlenden Lebensmittel für alle diese Leute kaufen." 14 Es waren nämlich gegen fünftausend Mann. Da gab er seinen Jüngern die Weisung: "Lasset die Leute sich in Gruppen von etwa fünfzig Personen lagern." 15 Sie taten nach seiner Anordnung. 16 Dann nahm er die fünf Brote und die beiden Fische, erhob seine Augen zum Himmel, betete innig, sprach den Segen darüber und gab sie den Jüngern zum Verteilen an das Volk. 17 Alle aßen sich satt. Die Überreste hob man auf - zwölf Körbe voll.

18 Einmal traf es sich, dass die Jünger ganz allein bei ihm waren. Da fragte er sie: "Für wen hält mich das Volk?" 19 Sie antworteten: "Für Johannes den Täufer. Es gibt freilich auch solche, die sagen, du seiest Elia; andere wiederum behaupten, in dir sei einer von den alten Propheten wiedergekommen." 20 Er fragte weiter: "Und ihr? - für wen haltet ihr mich denn?" Petrus gab zur Antwort: "Für den Messias - den Sohn Gottes." 21 Jesus verbot ihnen aufs Strengste, irgend jemand etwas davon zu sagen. 22 Dann fuhr er fort: "Der Menschensohn muss viel leiden; er muss von den Altesten, den Oberpriestern und Schriftgelehrten aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen und getötet und am dritten Tage auferweckt werden."

23 Dann richtete er an alle folgende Mahnung: "Will jemand meinen Weg gehen, so muss er gegenüber seinen irdischen Wünschen "Nein" sagen können; er muss Tag für Tag sein Kreuz auf sich nehmen und in meine Fußstapfen treten. 24 Denn wer nur darauf bedacht ist, sein irdisches Wohl sicher zu stellen, wird sein geistiges Wohl einbüßen. Wer aber bereit ist, sein irdisches Wohl um meinetwillen preiszugeben, der wird sein geistiges Wohl retten. 25 Denn was hat ein Mensch davon, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein wahres Seelenglück entweder ganz einbüßt oder doch schwer schädigt? 26 Wer sich meiner und der Meinen schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er in seiner und seines Vaters Herrlichkeit, sowie der seiner heiligen Engel kommen wird. 27 Es ist die Wahrheit, wenn ich euch sage, dass einige von denen, die hier stehen, den irdischen Tod nicht kosten werden, bis sie den Menschensohn in seiner Herrlichkeit haben kommen sehen."

28 Etwa acht Tage nach dieser Unterredung nahm er Petrus, Jakobus und Johannes mit sich und stieg auf den Berg, um zu beten. 29 Während seines Gebetes veränderte sich das Aussehen seines Antlitzes, und seine Kleidung wurde leuchtend weiß. 30 Zwei Männer besprachen sich mit ihm. Es waren Mose und Elia. 31 Sie erschienen in himmlischem Glanze und sprachen mit ihm über seinen Tod, den er in Jerusalem erleiden sollte. 32 Petrus und seine Genossen befanden sich in einem Zustand, der dem eines tiefen Schlafes ähnlich war. Als sie wieder das Selbstbewusstsein erlangten, sahen sie ihn in seinem himmlischen Glanze; ebenso die beiden Männer, die bei ihm standen. 33 Als diese sich anschickten, von ihm Abschied zu nehmen, sagte Petrus zu Jesus: "Meister, wir fühlen uns hier so glücklich! Wenn es dir recht ist, will ich hier drei Hütten aus belaubten Zweigen errichten: eine für dich, eine für Mose und eine für Elia." Er wusste nämlich nicht, was er alles in diesem Augenblick sagen sollte. 34 Während er so sprach, lagerte eine lichte Wolke über ihnen. Als diese sie dann nach und nach ganz einhüllte, befiel sie eine große Furcht. 35 Aus der Wolke erscholl eine Stimme, die ihnen zurief: "Dies ist mein Sohn, mein Liebling, an dem ich mein Wohlgefallen hatte! Auf ihn sollt ihr hören!" 36 Als die Stimme erklang, war Jesus nur noch allein anwesend. Über das, was die Jünger gesehen hatten, bewahrten sie zu Lebzeiten Jesu tiefes Schweigen und sprachen mit niemand darüber.

37 Am folgenden Tage stieg er wieder vom Berge herab. Bald hatte sich eine große Volksmenge um ihn geschart. 38 Ein Mann aus der Menge rief ihm zu: "Meister, ich bitte dich, nimm dich doch meines Sohnes an! Er ist mein einziges Kind. 39 Ein böser Geist pflegt sich seiner zu bemächtigen. Dann schreit er plötzlich auf. Er zerrt ihn hin und her, wobei ihm Schaum vor den Mund tritt. Er lässt nur schwer von ihm ab, so dass er seine ganzen Kräfte aufreibt. 40 Ich habe schon deine Jünger gebeten, ihn davon zu befreien. Doch sie konnten es nicht." - 41"O diese Sorte von Menschen, die keinen Glauben und kein Gottvertrauen besitzen und einen ganz verkehrten Weg  gehen!" - rief Jesus aus. "Wie lange muss ich wohl noch bei euch sein und Geduld mit euch haben? Bringe deinen Sohn hierher!" 42 Als der Knabe sich ihm näherte, riss ihn der Dämon wieder hin und her und verzerrte seine Züge. Jesus erteilte dem bösen Geist einen strengen Befehl, und dieser fuhr von dem Knaben aus. Dann gab er ihn dem Vater geheilt zurück. 43 Alles geriet außer sich vor Staunen über die gewaltige Macht Gottes. Während die Anwesenden nicht genug Worte der Verwunderung über alle seine Taten finden konnten, wandte er sich an seine Jünger mit dem Bemerken: 44 "Lasset das, was ihr die Leute jetzt sagen hört, in euren Ohren nachklingen! Denn der Menschensohn wird bald in der Menschen Hände ausgeliefert werden." 45 Sie verstanden jedoch den Sinn seiner Worte nicht. Sie blieben ihnen so dunkel, dass sie den Sinn nicht einmal ahnten. Aber sie scheuten sich, ihn um nähere Aufklärung über seinen Ausspruch zu bitten.

46 In den Jüngern stieg öfters der Gedanke auf, wer wohl der Größte unter ihnen sei. 47 Jesus sah die Gedanken ihres Herzens. Da nahm er ein Kind und stellte es neben sich. 48 Nun wandte er sich an die Jünger mit den Worten: "Wer sich eines solchen Kindes annimmt, um es mir zuzuführen, der nimmt sich meiner Sache an; und wer sich meiner Sache annimmt, der nimmt sich der Sache dessen an, der mich gesandt hat. Denn wer in seinen eigenen Augen der Geringste von euch allen ist - der ist wahrhaft groß." 49 Darauf ergriff Johannes das Wort und sagte: "Meister, wir sahen, wie jemand unter Anrufung deines Namens böse Geister austrieb. Wir suchten ihn daran zu hindern, weil er sich weigerte, sich uns anzuschließen." - 50 "Wehret es ihm nicht!" - entgegnete Jesus; "denn ein solcher ist nicht gegen euch, - er ist für euch!"

51 Es nahte nun der Zeitpunkt, wo er von dieser Erde weggenommen werden sollte. Darum hatte er jetzt nur das eine Ziel im Auge, nach Jerusalem zu gelangen, 52 Er sandte Boten voraus, die in eine Ortschaft der Samariter gehen sollten, um dort ein Unterkommen für ihn zu besorgen. 53 Aber die Einwohner lehnten seine Aufnahme aus dem Grunde ab, weil er die Absicht hatte, nach Jerusalem zu reisen. 54 Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, fragten sie: "Meister, ist es dir recht, dass wir Feuer vom Himmel erflehen, damit es diese Menschen verzehre, wie es Elia in einem ähnlichen Falle tat?" 55 Er aber schaute sie strengen Blickes an und gab ihnen einen ernsten Verweis. 56 "Wisset ihr nicht", - sagte er - "wessen Geistes Kinder ihr seid? Der Menschensohn ist nicht gekommen, um Menschenseelen zu  vernichten, sondern zu retten." 57 Dann gingen sie in eine andere Ortschaft. Unterwegs kam ein Mann zu ihm und sagte: "Ich will dir folgen, wohin du auch gehen magst." 58 Jesus gab ihm zur Antwort: "Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels haben Nester; doch der Menschensohn besitzt nicht einmal soviel, dass er sein Haupt darauf legen könnte." 59 Zu einem andern sagte er: "Gehe mit mir!" Der aber entgegnete: "Gestatte mir, vorher noch meinen Vater zu begraben!" 60Diesem gab er die Antwort: "Lass die geistig Toten ihre geistig Toten  begraben; du aber mache dich auf und verkünde das Reich Gottes!" 61Wieder ein anderer sagte: "Herr, ich will dir gern folgen; aber zunächst gib mir noch die Erlaubnis, mich von meinen Angehörigen zu  verabschieden!" 62 Ihm erwiderte er: "Einer, der auf das hinter ihm Liegende schaut, während er seine Hand an den Pflug legt, ist nicht tauglich als Werkzeug für das Reich Gottes."

Kapitel 10

1 Jesus bestimmte noch zweiundsiebzig andere, die er zu zwei und zwei in all die Städte und Ortschaften vorausschickte, die er selbst nachher besuchen wollte. 2 "Die Ernte ist groß", - sagte er - "aber klein die Zahl der Arbeiter. Bittet darum den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter auf sein Erntefeld senden möge. 3 Und nun gehet hin! Bedenket, dass ich euch wie Lämmer mitten unter Wölfe sende. 4 Nehmt keinen Geldbeutel, keine Reisetasche und kein zweites Paar Schuhe mit! Machet unterwegs keine Besuche bei Freunden oder Bekannten! 5 Wenn ihr ein Haus betretet, so sprechet beim Eintritt die Segensworte: 6 'Friede sei diesem Hause!' Wohnt darin ein Menschenkind, das des Friedens wert ist, so wird euer Friedenswunsch bei ihm in Erfüllung gehen; wenn nicht, so kommt die Kraft eures Segens auf euch selbst zurück. 7 Bleibt in ein und demselben Hause! Esst und trinkt, was man euch vorsetzt! Denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Gehet also nicht von einem Haus zum andern! 8 Kommt ihr in eine Stadt, und man nimmt euch dort auf, so esst, was man euch vorsetzt, 9 heilt die Kranken, die ihr dort vorfindet und predigt den Einwohnern, dass die Verbindung mit der Geisterwelt Gottes nahe bevorsteht. 10 Kommt ihr jedoch in eine Stadt, und man verweigert euch dort die Aufnahme, so geht vor die Stadt hinaus ins Freie und sprecht: 11 'Selbst den Staub eurer Stadt, der sich uns an die Füße gehängt hat, schütteln wir ab. Er soll euch verbleiben. Aber das Eine sollt ihr nie vergessen: Die Verbindung mit der Geisterwelt Gottes steht nahe bevor' 12 Glaubt mir, es wird an jenem Tage, an dem es sich um die Aufnahme in das Reich Gottes handelt, der Stadt Sodom erträglicher ergehen, als einer solchen Stadt. - 13 Wehe dir, Chorazin! Wehe dir Bethsaida! Denn wären in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen, die in euren Mauern gewirkt wurden, sie hätten zum Zeichen ihrer Bekehrung längst in Sack und Asche dagesessen. 14 Darum wird es Tyrus und Sidon besser ergehen als euch. 15 Und du, Kapernaum, - bist du nicht bis zum Himmel erhöht worden? Doch bis zur Tiefe der Hölle wirst du hinabgestoßen werden. - 16 Wer auf euch höret, der höret auf mich; wer euch von sich weiset, der weist mich von sich. Wer aber auf mich hört, der hört auf den, der mich gesandt hat."

17 Als später die Zweiundsiebzig wieder zurückkehrten, erzählten sie ihm voller Freude: "Meister, sogar die bösen Geister sind uns gehorsam, wenn wir ihnen in deinem Namen gebieten." 18 Er erwiderte: "Ich sah, wie der Satan gleich einem Blitz aus dem Himmel hinunterstürzte. 19 Ich gab euch die Macht, auf Schlangen und Skorpionen euren Fuß zu setzen; ja, Macht über das ganze Heer des Widersachers; nichts kann euch daher irgendeinen Schaden zufügen. 20 Doch nicht darüber, dass euch die Geister gehorsam sind, sollt ihr euch freuen; freuet euch vielmehr darüber, dass eure Namen im Himmel eingetragen sind." 21 In diesem Augenblick wurde sein Herz unter der Wirkung eines heiligen Geistes so von Freude und Jubel erfüllt, dass er in die Worte ausbrach: "Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du diese Dinge vor den sogenannten 'Weisen' und 'Klugen' verborgen hast, es aber denen offenbartest, die vor der Welt als 'Toren' gelten. Ja, Vater, so lag es in deinem Heilsplan beschlossen." 22 Dann wandte er sich zu seinen Jüngern und fuhr fort: "Alles ist mir vom Vater übergeben worden. Niemand weiß, wer der Sohn ist, als nur der Vater; und wer der Vater ist, weiß niemand als nur der Sohn und wem der Sohn es offenbaren will. 23 Glücklich zu preisen sind die, deren Augen sehen, was ihr seht und deren Ohren hören was ihr hört; 24 denn glaubt mir, viele Könige und Propheten wünschten zu sehen, was ihr sehet und sahen es nicht; und zu hören, was ihr höret und hörten es nicht."

25 Da trat ein Gesetzkundiger vor, um ihn auf die Probe zu stellen und richtete die Frage an ihn: "Meister, was muss ich tun, um das zukünftige Leben zu erlangen?" 26 Jesus stellte ihm eine Gegenfrage: "Was steht denn im Gesetz über diesen Punkt geschrieben? Wie lauten die Worte?" 27 Er gab zur Antwort: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, aus ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinen Nächsten, wie dich selbst." - 28 "Du hast recht geantwortet!" - erwiderte Jesus - "tue dies, so wirst du leben." 29 Jener aber stellte sich, als wolle er darüber noch eingehender belehrt werden und fragte daher weiter: "Wer ist denn mein Nächster?" 30 Jesus ging auf die Frage ein und führte folgendes Beispiel an; "Einst  ging ein Mann von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel Räubern in die Hände. Diese plünderten ihn aus, schlugen ihn blutig und ließen ihn halbtot liegen. Dann machten sie sich davon. 31 Zufällig kam ein Priester dieses Weges. Er sah ihn daliegen, ging aber an ihm vorüber. 32 Ebenso kam ein Levit an diese Stelle. Auch er sah ihn und ging vorüber. 33 Ein Samariter, der auf einer Reise war, kam ebenfalls in seine Nähe. Als er ihn daliegen sah, fühlte er Mitleid mit ihm. 34 Er trat an ihn heran, goss Öl und Wein in seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein eigenes Maultier, brachte ihn in die Herberge und verpflegte ihn. 35 Am folgenden Tage holte er zwei Silberstücke hervor und gab sie dem Wirt mit der Bitte: "Verpflege du ihn weiter; und wenn du noch mehr Auslagen mit ihm haben solltest, so will ich sie dir bei meiner Rückkehr ersetzen." 36 Wer hat sich nun nach deiner Ansicht dem unter die Räuber gefallenen Manne gegenüber als Nächster erwiesen?" 37 Jener antwortete: "Der, welcher Barmherzigkeit an ihm geübt hat." - "Gehe hin", -sagte Jesus - "und handle du ebenso!"

38 Er setzte seine Wanderung fort und kam in ein Dorf. Eine Frau namens Martha nahm ihn in ihr Haus auf. 39 Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Diese setzte sich zu den Füßen des Herrn und lauschte seinen Worten. 40 Martha dagegen eilte immer wieder von seiner Seite weg, um die Vorbereitungen zu einer reichlichen Bewirtung zu treffen. Da trat sie vor Jesus und sagte: "Herr, kannst du es ruhig mit ansehen, dass meine Schwester die Arbeit für deine Bewirtung bis jetzt mir allein überließ? Sage ihr doch, dass sie mir nun zur Hand gehe!" 41 Aber der Herr antwortete ihr: "Martha, Martha, du machst dir so viel Arbeit und Mühe, um vielerlei aufzutischen; 42 wenige Speisen oder auch nur eine einzige wäre hinreichend gewesen. Maria hat sich das gute Stück ausgesucht, das ihr nicht mehr weggenommen werden kann."

Kapitel 11

.1 Einst ging Jesus an einen Ort, um zu beten. Als er sein Gebet beendet hatte, trug einer seiner Jünger ihm die Bitte vor: "Herr, lehre du uns beten, wie ja auch Johannes seine Jünger beten lehrte." 2 Darauf entgegnete er: "Wenn ihr betet, sollt ihr nicht etwas daherplappern, wie andere es zu tun pflegen. Denn manche meinen, sie fänden Erhörung, wenn sie viele Worte machen. Ihr könnt folgendermaßen beten: 'Unser Vater, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name; deine Geisterwelt komme zu uns; dein Wille geschehe im Jenseits und im Diesseits; 3 gib uns heute das Brot für den folgenden Tag; 4 vergib uns unsere Sünden, wie auch wir denen vergeben, die sich gegen uns versündigt haben. Und lass uns nicht los von deiner Hand, damit wir nicht der Versuchung zum Opfer fallen; sondern befreie uns von dem Bösen!'" 5 Dann fuhr er fort: "Nehmet einmal an, einer von euch hätte einen Freund; er ginge nun mitten in der Nacht zu diesem Freund und trüge ihm folgende Bitte vor: 6 'Lieber Freund, borge mir drei Brote! Denn ein Freund von mir ist eben auf einer Reise bei mir eingekehrt, und ich habe ihm nichts vorzusetzen.' 7 Jener aber würde von drinnen antworten: 'Belästige mich jetzt nicht! Die Türe ist schon abgeschlossen, und meine Kinder und ich liegen bereits zu Bett; ich kann daher unmöglich jetzt aufstehen und dir die Brote geben.' 8 Glaubt mir, wenn er auch nicht aus Freundschaftsgefühl aufsteht und ihm gibt, so wird er doch dem unaufhörlichen Drängen des andern schließlich nachgeben; er wird aufstehen und ihm soviel geben als er nötig hat. 9 So sage denn auch ich euch: Bittet um die Erkenntnis, so wird sie euch gegeben werden; suchet Gott, so werdet ihr ihn finden; klopfet an das Tor des Geisterreiches Gottes, und man wird euch öffnen. 10 Denn jeder, der um die Erkenntnis bittet, empfängt sie; wer Gott sucht, der findet ihn; und wer an dem Tor des Geisterreiches Gottes anklopft, dem wird es geöffnet. - 11 Wo wäre ferner unter euch ein Vater, der seinem Sohn einen Stein gäbe, wenn er ihn um Brot bittet? Oder der ihm eine Schlange gäbe, wenn er ihn um einen Fisch gebeten hat? 12 Oder einen Skorpion anstatt eines Eies? 13 Wenn nun ihr, die ihr sonst so gern das Böse tut, dennoch darauf aus seid, euren Kindern nur gute Gaben zu geben, wie viel mehr wird euer himmlischer Vater einen heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten."

14 Eben hatte er seine Rede beendet, da brachte man ihm einen Besessenen, der stumm war. Er trieb den Dämon aus ihm aus, und der Stumme konnte wieder sprechen. Das Volk geriet darüber in Staunen. 15 Doch fanden sich einige darunter, welche behaupteten, mit Hilfe Belzebub, des obersten der Teufel, treibe er die bösen Geister aus. 16Andere wiederum wollten ihn noch weiter auf die Probe stellen und verlangten von ihm  ein Wunderzeichen am Himmel. 17 Jesus kannte ihre Gedanken und gab ihnen zur Antwort: "Jedes Reich, in dem der Bürgerkrieg tobt, wird zur Wüste. Ein Haus nach dem andern fällt zusammen. 18 Wenn also Satan mit seinesgleichen in Kampf geraten würde, wie könnte dann sein Reich noch länger Bestand haben? Ihr behauptet ja, dass ich die Dämonen mit Hilfe Belzebub austreibe. 19Aber auch angenommen, ich triebe die  Dämonen mit Hilfe Belzebub aus, wollt ihr mir dann nicht auch sagen, mit wessen Hilfe eure eigenen Leute die Dämonen zu vertreiben suchen? Diese mögen also über eure Behauptung das richtige Urteil fällen. 20 Wenn ich aber durch die Geisterkräfte Gottes die Dämonen austreibe, dann ist ja das Geisterreich Gottes tatsächlich schon jetzt mit euch in Verbindung gekommen. - 21Wenn ein starker Mann, der bis an die Zähne bewaffnet  ist, seinen Palast bewacht, so ist sein Eigentum in Sicherheit. 22 Fällt aber einer über ihn her, der stärker ist als er, und besiegt ihn, so nimmt er ihm seine ganze Waffenrüstung ab, auf die er sich verlassen hatte, und verfügt über die gemachte Beute. - 23 Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut."

24 "Sooft ein böser Geist von einem Menschen ausgefahren ist, irrt er durch trostlose Weltenräume und sucht dort eine Stelle, wo er Ruhe hat; wenn er jedoch keine findet, so sagt er sich: 'Ich will in die frühere Behausung, die ich verließ, wieder zurückkehren.' 25 Kommt er dann hin und findet sie schön gefegt und aufgeräumt, so holt er sich noch sieben andere Geister, die schlimmer sind als er selbst. 26 Gelingt es ihm, wieder hineinzukommen, dann schlägt er seine Wohnung darin auf; und der letzte Zustand eines solchen Menschen wird schlimmer sein als der erste."

27 Bei diesen Worten rief eine Frau aus der Volksmenge: "Glücklich zu preisen ist der Schoß, der dich getragen und die Brust, die dich genährt hat!" 28 "Nein!" - entgegnete er - "sondern nur die sind glücklich zu preisen, die das Wort Gottes hören und es treu beobachten.

29 Als dann immer noch mehr Leute herbeiströmten, begann er eine zweite Ansprache. "Dieses Volk" - sagte er - "ist ein Volk, das mir große Schwierigkeiten bereitet. Es verlangt Wunderzeichen. Doch keins wird ihm gegeben außer dem Wunderzeichen, das bei Jona gewirkt wurde. 30 Denn wie Jona für die Bewohner von Ninive zu einem Wunderzeichen wurde, so wird der Menschensohn auch für dieses Volk ein Wunderzeichen sein. Wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des Riesenfisches verbrachte, so wird auch der Menschensohn in der selben Weise sich in der Tiefe aufhalten. 32 Die Männer von Ninive werden, wenn dieses Volk gerichtet wird, als Zeugen auftreten und seine Verurteilung herbeiführen. Denn sie haben auf Jonas Predigt hin sich bekehrt. Und doch steht hier einer, der größer ist als Jona. - 31 Die Königin aus dem Süden wird gegen die Männer dieses Volkes ebenfalls als Zeuge auftreten und ihre Verurteilung herbeiführen. Denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören; und doch steht hier einer, der größer ist als Salomo."

33 "Niemand zündet ein Licht an, um es in einen verborgenen Win-kel oder unter den Scheffel zu stellen. Er setzt es auf den Lampenständer, damit jeder, der hereinkommt, den Lichtschein sehen kann. 34 Die Leuchte des Körpers ist das Auge. Ist dein Auge gesund, so beleuchtet der Strahl deines Augenlichtes alle Stellen deines Körpers. Ist dein Auge aber schlimm erkrankt, so sind alle Stellen deines Leibes für dich in Dunkel gehüllt. 36 Ein solches Licht hast du auch in deinem Innern; wird es zur Finsternis, wie schrecklich muss dann die geistige Finsternis in dir sein!"

37 Ein Pharisäer lud Jesus ein, bei ihm zu speisen. Er ging hin und nahm an seinem Tische Platz. 38 Der Pharisäer nahm Anstoß daran, dass Jesus vor dem Essen nicht zuerst eine Waschung vorgenommen hatte; das ließ ihn innerlich nicht zur Ruhe kommen. 39 Da sagte der Herr zu ihm: "Freilich, - ihr heuchlerischen Pharisäer haltet die Außenseite des Bechers und der Schüssel rein, das Innere aber ist voll Habgier und Bosheit. 40 Ihr Toren! Hat der, welcher die Innenseite schuf, nicht auch die Außenseite geschaffen? 41 Übtet ihr jedoch Erbarmen, soviel ihr könnt, dann würdet ihr sehen, dass auch euch alles rein erscheint! - 42Doch  wehe euch, ihr Pharisäer! Ihr gebt zwar den Zehnten von Minze, Raute und jedem andern Gartengewächs, aber das wahre Rechttun und die Liebe zu Gott sind euch unbekannte Dinge. 43 Wehe euch, ihr Pharisäer! Ihr wollt so gern den Ehrenplatz in den Synagogen haben, wollt auf den Märkten von jedermann gegrüßt sein und bei den Gastmählern die ersten Plätze einnehmen. 44 Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer! Ihr seid Gräbern gleich, die man zugeschüttet und unkenntlich gemacht hat. Die Leute gehen darüber hin und ahnen nicht, was darunter ist."

45 Da ergriff einer der Gesetzlehrer das Wort. "Meister", - sagte er -"mit solchen Reden beleidigst du auch uns." - 46 "Gewiss", - entgegnete er - "auch euch Gesetzkundigen gilt dieses Wehe. Denn ihr ladet euren Mitmenschen unerträgliche Lasten auf, selbst aber rührt ihr sie mit keinem Finger an. 47 Wehe euch! Ihr errichtet den Gottgesandten Grabdenkmäler, und eure Väter waren es, die sie töteten. 48 Wollt ihr etwa damit beweisen, dass ihr mit den Taten eurer Väter nicht einverstanden seid, weil jene zwar die Gottgesandten umbrachten, ihr aber Grabmäler für sie aufbaut? 49 Immer wieder sende ich Werkzeuge der Geisterwelt Gottes und Apostel zu ihnen; die einen von ihnen werden sie töten, die andern in der schrecklichsten Weise verfolgen. 50 Ich tue dies, damit alles Prophetenblut, das seit Grundlegung der Welt vergossen wurde, an diesem Volk gerächt werden soll, 51 angefangen vom Blute Abels bis zum Blute Sacharjas, des Sohnes Barachias, den sie zwischen dem Brandopferaltar und dem Heiligtum getötet haben. Ja, glaubt es mir, es soll an diesem Volk gerächt werden. 52 Wehe euch, ihr Gesetzeslehrer! Ihr habt den Schlüssel zur rechten Erkenntnis der Wahrheit versteckt. Ihr selbst seid nicht zum Verständnis der Wahrheit gelangt, habt aber auch die nicht dazu gelangen lassen, die dazu gelangen wollten."

53 Als er ihnen solche Worte ins Gesicht schleuderte, begannen die Schriftgelehrten und Pharisäer vor allem Volk mit furchtbarer Erbitterung ihm zuzusetzen und ihn mit einer Menge Fragen zu überschütten. 54 Dabei lagen sie auf der Lauer, um in irgendeiner Äußerung von ihm eine Handhabe zu bekommen, ihn unter Anklage zu stelle

Kapitel 12

1 Inzwischen hatten sich aus näherem und weiterem Umkreise große Volksscharen angesammelt, so dass sie einander drängten und stießen. Da wandte er sich zunächst an seine Jünger. "Hütet euch" - sagte er zu ihnen - "vor dem Sauerteig der Pharisäer, nämlich der Heuchelei! 2 Denn es mag etwas noch so dicht verhüllt sein, - die Hülle wird einmal fallen; und es mag etwas noch so gut versteckt worden sein, - es wird einmal entdeckt werden. 3 So wird auch jedes Wort, das ihr unter vier Augen gesprochen habt, an das Ohr der Öffentlichkeit dringen; und was ihr hinter verschlossenen Türen einander ins Ohr geflüstert hattet, das wird auf den Dächern laut verkündet werden. 4 Doch euch, als meinen Freunden, möchte ich noch das eine sagen: Fürchtet euch nicht vor denen, die wohl den Leib töten, aber die Seele nicht töten können und auch sonst nichts Außergewöhnliches euch anzutun vermögen. 5 Zeigen will ich euch, wer der ist, vor dem ihr euch fürchten sollt. Habt Furcht vor dem, der Macht hat, zu töten und den Getöteten in die Hölle zu schleudern. Wahrhaftig, vor dem sollt ihr euch fürchten. - 6 Kauft man nicht fünf Sperlinge für zwei Pfennige! Und doch ist keiner von ihnen vor Gott vergessen. 7 Selbst die Haare auf eurem Haupte sind alle gezählt. Habt also keine Furcht! Seid ihr vielleicht weniger wert als die Schar der Sperlinge?"

8 "Ferner sage ich euch: Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen. 9 Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, der wird auch vor den Engeln Gottes verleugnet werden. 10 Und jeder, der ein Wort gegen den Menschensohn sagt, wird Begnadigung finden. Wer aber gegen die heilige Geisterwelt Gottes eine Lästerung ausspricht, der wird weder in diesem noch in dem folgenden Zeitalter eine Begnadigung zu erwarten haben. - 11 Wenn man euch in die Synagogen und vor die Behörden und die Machthaber schleppt, so denkt nicht schon vorher mit Angst daran, wie ihr euch verteidigen und was ihr vorbringen sollt; 12 denn die heilige Geisterwelt wird euch im rechten Augenblick das eingeben, was ihr sagen sollt."

13 Einer aus der Volksmenge richtete die Bitte ihn an: "Meister, sage doch meinem Bruder, er solle das Erbe mit mir teilen!" - 14 "Mein lieber Mann", - entgegnete Jesus - "Wer hat mich zum Schiedsrichter über euch gesetzt?" 15 Daran schloss er die Mahnung: "Sehet euch vor und seid auf der Hut vor jeder Art von Habsucht! Denn für keinen hängt sein Lebensunterhalt von dem ab, was er an Überfluss besitzt." 16Zur Erläuterung dieses  Ausspruches erzählte er ihnen folgendes Gleichnis: "Einem reichen Mann hatten seine Äcker eine sehr gute Ernte gebracht. 17 Da dachte er: Was soll ich tun, da ich keinen Raum habe, um meine Ernte unterzubringen? 18 Schließlich sagte er sich: Ich will es folgendermaßen machen: meine Scheunen will ich abreißen und größer bauen und darin alle meine Früchte unterbringen; 19 dann will ich zu meiner Seele sagen: "Liebe Seele, du hast nun einen reichen Vorrat; jetzt lass es dir wohl sein!" 20 Aber Gott sprach zu ihm: 'Du Tor! Noch in dieser Nacht fordert man deine Seele von dir. Wem wird dann das alles zufallen, was du aufgespeichert hast?' 22 Indem er sich nun an seine Jünger wandte, fuhr er fort: "Darum sage ich euch: Fraget doch nicht ängstlich, ob ihr auch genug zu essen haben werdet, um leben zu können; auch nicht, ob ihr ausreichend Kleidungsstücke besitzen werdet, um euren Körper damit zu bekleiden. 23 Das Leben ist ja wertvoller als die Nahrung, und der Körper wertvoller als die Kleidung. 24 Seht euch die Vögel des Himmels an! Sie säen nicht und ernten nicht; sie haben keine Vorratskammern und keine Scheunen, - und Gott ernährt sie doch. Ihr seid doch ebenso viel wert als die Vögel! 25 Wer von euch vermag seiner Lebenszeit auch nur eine Spanne zuzusetzen? 26 Und so in allen andern Dingen. Warum macht ihr euch also Sorgen? 27 Betrachtet die Lilien, die weder spinnen noch weben; und doch sage ich euch, dass nicht einmal Salomo in all seiner Pracht so herrlich gekleidet war, wie eine von ihnen. 28 Wenn nun Gott die Blume auf dem Felde, die heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, so herrlich kleidet, dann tut er dies wenigstens in dem selben Maße euch gegenüber, ihr Kleingläubigen! 29 Fraget daher nicht ängstlich, was ihr essen und trinken sollt und lasst euch nicht zwischen Hoffen und Fürchten hin und her zerren. 30 Denn über all das ängstigen sich die, welche ohne Glauben und Gottvertrauen durchs Leben gehen. Euer Vater weiß ja, dass ihr das alles nötig habt. 31 Suchet vielmehr die Verbindung mit seinem Geisterreich zu erlangen. Dann wird euch alles andere als Zugabe zuteil werden. 32 Habe also ja keine Furcht, du kleine Herde! Denn es ist im Heilsplan des Vaters bestimmt, euch das Himmelreich zu geben. 33 Verkauft die Güter, über die ihr frei verfügen könnt und gebt den Erlös als Almosen hin. Verschafft euch nicht Geldbeutel, die durch Altwerden verschleißen, sondern ein unerschöpfliches Schatzkästlein, das im Jenseits steht, wo kein Dieb hinkommt und keine Motte etwas verderben kann. 34 Denn wo eure Schätze sind, da wird auch euer Herz sein."

35 "Eure Lenden sollen umgürtet und eure Lampen angezündet sein. 36 Ihr sollt Leuten gleichen, die auf den Augenblick warten, wo ihr Herr von der Hochzeitsfeier heimkehrt, damit sie ihm bei seiner Ankunft auf das erste Klopfen hin sofort öffnen. 37 Glücklich zu preisen sind jene Diener, die der Herr bei seiner Rückkehr wach findet. Ich sage euch, er wird das Gewand aufschürzen, sie zu Tisch führen und selbst bedienen. 38 Mag er nun in den ersten Abendstunden kommen oder um Mitternacht oder um drei Uhr morgens, und er findet sie wach, so wird er sie in der angegebenen Weise behandeln; und wirklich glücklich zu preisen sind dann solche Diener. 39 Das seht ihr wohl selbst ein: wenn ein Hausherr wüsste, in welcher Stunde der Einbrecher kommt, so würde er wach bleiben und den Einbruch in sein Haus verhindern. 40 So haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, wo ihr ihn nicht erwartet." - 41 "Herr", fragte darauf Petrus - "meinst du mit deinem Gleichnis bloß uns oder auch die andern alle?" 42 Der Herr gab ihm zur Antwort; "Ja, wer ist wohl mit dem treuen Verwalter - dem klugen und guten - gemeint, den sein Herr über das Hausgesinde setzen wird, damit er sie zur rechten Zeit mit allem Nötigen versorgt? 43 Jenem Verwalter gilt meine Glücklichpreisung, den sein Herr bei seiner Rückkehr bei der treuen Ausübung seines Dienstes antrifft. 44 Glaubet mir, er wird ihm die Verwaltung seines ganzen Besitztums übertragen. 45 Würde je doch jener Verwalter in seinem Herzen wähnen, sein Herr werde noch lange nicht kommen und infolgedessen die Knechte und Mägde zu schlagen beginnen, auch selbst nach Belieben essen und trinken und sich berauschen, - 46 so wird der Herr dieses Verwalters an einem Tage kommen, wo er ihn nicht erwartet hatte und zu einer Stunde, die er nicht hatte ahnen können. Er wird ihn in zwei Teile teilen und dorthin werfen, wo sich die Treulosen befinden. - 47 Ein Knecht, der den Willen seines Herrn kennt und doch nicht danach handelt, wird viele Schläge erhalten. 48Wer dagegen seinen Willen nicht kannte und in dieser Unkenntnis Dinge tat, die Strafe verdienen, wird nur  wenige Schläge bekommen; denn wem man viel gab, von dem wird man noch mehr zurückfordern, und wem man viel Hilfe gewährte, von dem wird man eine weit größere Leistung verlangen. 49 Ich bin gekommen, um ein Feuer auf die Erde zu schleudern; und was könnte ich sehnlicher wünschen, als dass es schon hell aufloderte! 50 Doch ich muss noch mit einer Taufe getauft werden und finde keine Ruhe, bis sie vollzogen ist. 51 Ihr meint wohl, ich sei gekommen, um bloß Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, - ich bringe auch Unfrieden. 52 Denn von nun an wird wegen mir unter fünf Hausbewohnern Spaltung herrschen; drei werden gegen zwei und zwei gegen drei im Streite liegen; 53 der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater; die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter; die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter."

54 Dann wandte er sich wieder an die Volksmenge und fuhr fort: "Wenn ihr Gewölk im Westen aufsteigen seht, so pflegt ihr sofort zu sagen: Es gibt Regen; und es trifft ein. 55 Merkt ihr, dass der Wind von Süden weht, dann prophezeit ihr heiße Tage; und auch dies trifft zu. 56Ihr Heuchler! Die Zeichen an Erde und Himmel versteht ihr richtig zu deuten. Wie kommt es nun, dass ihr die vor euren  Augen sich abspielenden Zeitgeschehnisse nicht richtig beurteilen könnt? 57 Warum kommt ihr nicht durch eigenes Nachdenken zu einer richtigen Schlussfolgerung? 58 Denn wenn du mit deinem Gegner vor Gericht gehen musst, so gibst du dir doch noch unterwegs Mühe, mit ihm zu einem Vergleich zu kommen, damit er nicht vor dem Richter deine Verurteilung durchsetzt; denn dieser würde dich dem Gerichtsdiener übergeben, und der Gerichtsdiener dich ins Gefängnis werfen. 59 Ich versichere dir, du wirst von dort nicht eher entlassen werden, als bis du den letzten Heller bezahlt hast."

Kapitel 13

1 Damals waren unter seinen Zuhörern einige, die von den Galiläern erzählten, die Pilatus beim Schlachten der Opfertiere hatte umbringen lassen, so dass das Blut der Erschlagenen sich mit dem Blut der Tiere mischte. 2 Jesus erwiderte ihnen: "Wollt ihr daraus, dass jene Galiläer die dieses Schicksal hatten, etwa den Schluss ziehen, sie seien größere Sünder gewesen als die übrigen Bewohner von Galiläa? 3 Ich sage euch: Nein! In ähnlicher Weise werdet ihr alle einmal umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt. 4 Oder meint ihr, dass jene achtzehn, auf die der Turm von Siloah stürzte und sie erschlug, schuldbeladener gewesen seien als die andern Einwohner von Jerusalem? - 5 Nein! - sage ich euch; auch ihr werdet in ähnlicher Weise alle einmal umkommen, wenn ihr eure Gesinnung nicht ändert."

6 Er erzählte ihnen dann folgendes Gleichnis: "Jemand hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt und kam, um nach den Früchten zu sehen; doch er fand keine. 7 Da sagte er zu dem Gärtner: 'Nun komme ich schon drei Jahre hierher und suche an diesem Feigenbaum Früchte, finde aber keine. Nimm die Axt und haue ihn um; es ist schade für den Boden, den man an ihn verschwendet.' 8 - 'Herr', flehte jedoch der Gärtner - 'lass ihn wenigstens noch dieses Jahr stehen! Ich will noch einmal den Boden rund um ihn lockern und einen Korb voll Dünger darauf streuen. 9 Vielleicht bringt er im kommenden Jahre doch noch Frucht; wenn nicht, dann magst du ihn aushauen lassen'."

10 Eines Tages - es war an einem Sabbat - predigte er in der Synagoge. 11 Unter den Anwesenden befand sich eine Frau, die seit achtzehn Jahren von einem Geist besessen war, der sie völlig kraftlos machte. Sie saß da ganz zusammengekrümmt und war durchaus unfähig, sich aufzurichten. 12 Als Jesus ihrer ansichtig wurde, sagte er zu ihr: "Liebe Frau, du sollst von deiner Schwäche befreit sein!" 13 Dann legte er ihr die Hände auf, und sofort richtete sie sich auf und pries Gott. 14 Der Synagogenvorsteher wurde darüber sehr unwillig, dass Jesus diese Heilung am Sabbat vorgenommen hatte und sagte zum Volke: "Sechs Tage sind da, an denen man arbeiten soll. An diesen kommt und lasst euch heilen; aber nicht am Sabbat!" 15 Der Herr antwortete ihm: "Du Heuchler! Bindet nicht ein jeder von euch auch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? 16 Und nun sollte diese Frau, die doch eine Tochter Abrahams ist, und die der Satan nun schon achtzehn Jahre lang gebunden hielt, von dieser Fessel nicht gelöst werden dürfen, bloß weil es Sabbat ist?" 17 Bei diesen Worten saßen alle seine Gegner beschämt da, während die große Masse des Volkes sich über die herrlichen Taten freute, die durch ihn vollbracht wurden. - 18 Dann fuhr er fort: "Wem ist das Kommen der Geisterwelt Gottes ähnlich, und womit soll ich es vergleichen? 19 Es gleicht einem Senfkorn, das ein Mann nahm und in seinen Garten säte. Es wuchs und wurde zum Baume, und die Vögel des Himmels nisteten in seinen Zweigen." 20 Weiter sagte er: "Womit soll ich das Kommen des Geisterreiches Gottes sonst noch vergleichen? 21 Es gleicht einem Sauerteig, den eine Frau in drei Maß Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war."

22 So wanderte er von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und predigte und nahm dabei stets seinen Weg in der Richtung auf Jerusalem.

23 Eines Tages stellte einer an ihn die Frage: "Herr, es sind wohl nur wenige, die gerettet werden?" Ergab ihm zur Antwort: 24 "Gebt euch die größte Mühe, durch die enge Türe einzugehen; denn viele - sage ich euch - werden hineinzukommen suchen und es nicht können. 25 Denn wenn ihr erst dann draußen an dieser Türe steht und anklopfet, wenn der Hausherr bereits da war und die Türe abgeschlossen hat, - und wenn ihr dann ruft: 'Herr, Herr, mach uns auf! - so wird er euch antworten: 'Ich weiß nicht, woher ihr seid.' 26 Und wenn ihr dann erwidert: 'Wir haben doch an demselben Tisch mit dir gegessen und getrunken; du hast bei uns auf öffentlichen Plätzen gepredigt', - 27 so wird er euch entgegnen: Ich kann euch nur sagen, dass ich euch nie gekannt habe; darum hinweg von mir, ihr Übeltäter alle! 28 Wenn ihr Abraham, Isaak und Jakob und alle die, welche Werkzeuge Gottes waren, im Reiche Gottes sehen werdet, während ihr selbst hinausgestoßen seid, dann wird bei euch Heulen und Zähneknirschen sein. 29 Und von Osten und Westen, von Norden und Süden werden sie kommen und sich im Reiche Gottes zum Mahle niedersetzen; 30 und es gibt solche, die unter den Letzten waren, und sie werden bei den Ersten sein, und andere gehörten einst zu den Ersten und werden dann bei den Letzten sein."

31 Bei dieser Gelegenheit kamen einige Pharisäer zu ihm und warnten ihn. "Mache dich fort von hier", - sagten sie - "und ziehe sonst wohin! Denn Herodes will dich töten!" 32 Doch er gab ihnen zur Antwort: "Gehet hin und meldet diesem Fuchs, dass ich daran bin, böse Geister auszutreiben; dass ich noch heute und morgen mit Heilen von Kranken beschäftigt bin und erst übermorgen damit fertig werde; 33 dass ich aber sowohl heute, wie morgen als auch übermorgen notgedrungen meine Reise fortsetze; denn es geht nicht an, dass ein Gottgesandter anderswo als in Jerusalem den Tod erleidet. 34 Jerusalem, Jerusalem, das du die Werkzeuge Gottes tötest und die steinigst, die zu dir gesandt wurden! Wie oft habe ich deine Kinder um mich sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt; doch ihr habt nicht gewollt. Nun muss die für euch bestimmte himmlische Wohnung wiederum leer bleiben. 35 Ich versichere euch aber, dass ihr mich nun nicht mehr sehen werdet, bis der Tag da ist, wo ihr rufet: Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!"

Kapitel 14

1 An einem Sabbat kam er in das Haus eines Führers der pharisäischen Partei, um bei ihm zu speisen. Die Anwesenden hielten ein scharfes Auge auf ihn. 2 In seiner Nähe saß ein Mann, der die Wassersucht hatte. 3 Jesus richtete an die Gesetzlehrer und Pharisäer die Frage: "Darf man am Sabbat heilen oder nicht?" 4 Doch sie gaben ihm keine Antwort. Da streckte er einfach seine Hand nach dem Kranken aus und heilte ihn; dann schickte er ihn heim. 5 An die andern aber wandte er sich mit den Worten: "Wer von euch, dem ein Schaf oder ein Ochs in den Brunnen fiele, würde das Tier nicht sofort herausziehen, auch wenn es an einem Sabbat wäre?" 6 Auch darauf gaben sie keine Antwort.

7 Als er sah, wie die Gäste sich die ersten Plätze aussuchten, wies er sie dadurch zurecht, dass er ihnen ein Beispiel erzählte. 8 "Bist du von jemand zur Hochzeit eingeladen", - sagte er - "so lege dich nicht an einen Platz am ersten Tischchen. Es könnte ja ein Vornehmerer als du eingeladen sein, 9 und es würde euer Gastgeber kommen und zu dir sagen: Gib diesem deinen Platz! Dann müsstest du aufstehen und beschämt den letzten Platz einnehmen. 10 Wenn du eingeladen bist, gehe lieber an den letzten Platz und lege dich dort zu Tisch. Vielleicht wird dann der Gastgeber kommen und zu dir sagen: Lieber Freund, rücke weiter herauf! Das wird dann in den Augen aller Tischgenossen eine große Ehre für dich sein. 11 Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden."

12 Darauf sagte er zu seinem Gastgeber: "Willst du ein Mittagsmahl oder ein Abendessen veranstalten, so lade nicht deine Freunde und Brüder, deine Verwandten und reichen Nachbarn dazu ein! Denn diese würden sich zu einer Gegeneinladung verpflichtet fühlen, und so würde dir das Gleiche zurückvergolten. 13 Lässt du eine Einladung ergehen, so wähle dazu Arme, Krüppel, Lahme und Blinde. 14 Dann wirst du Segen davon ernten. Denn die können es dir nicht gutmachen. Die Vergeltung dafür wirst du an dem Tage erhalten, an dem die Gottestreuen wieder zu Gott zurückkehren."

15 Bei diesen Worten machte einer der Tischgenossen die Bemerkung: "Glücklich zu preisen ist jeder, der im Reiche Gottes am Mahl teilnehmen darf!" 16 Jesus gab ihm darauf die Antwort mit folgendem Gleichnis: "Ein Mann veranstaltete einst ein großes Gastmahl und lud viele dazu ein. 17 Als das Mahl beginnen sollte, sandte er seinen Diener und ließ den Geladenen sagen, sie möchten kommen; es stehe schon alles bereit. 18 Aber alle ohne Ausnahme suchten sich zu entschuldigen. Der erste ließ ihm sagen: Ich habe ein Grundstück gekauft und muss unbedingt hin gehen, um es zu besichtigen. Bitte, halte mich für entschuldigt! 19 Der zweite brachte als Entschuldigung vor: Ich habe fünf Paar Ochsen gekauft und bin eben im Begriff, sie auszuprobieren. Deshalb kann ich nicht kommen. 20 Ein dritter gab an: Ich habe mich dieser Tage verheiratet und kann deshalb nicht fortgehen." 21 Der Diener kam zurück und berichtete dies seinem Herrn. Der wurde darüber sehr aufgebracht und gab seinem Diener den Befehl, eilends auf die Straßen und in die Gassen der Stadt zu gehen und die Armen und Krüppel, die Blinden und Lahmen herbeizuholen. 22 Bald konnte der Diener melden: Herr, dein Befehl ist ausgeführt! Doch es sind noch Plätze frei. 23 Da gebot der Herr dem Diener: Nun gehe noch auf die Landstraßen außerhalb der Stadt und auf die Feldwege und nötige alle, die du antriffst, doch hierher zu kommen, damit alle Plätze meines Saales besetzt werden. 24 Dessen könnt ihr jedoch sicher sein, dass keiner von jenen Männern, die zuerst geladen waren mein Mahl zu schmecken bekommt."

25 Große Menschenmengen pflegten ihn stets zu begleiten. An sie richtete er eines Tages folgende Mahnung: 26 "Wenn jemand zu mir kommen will, so darf er auf Vater oder Mutter, Weib oder Kind, Bruder oder Schwester, ja nicht einmal auf sein eigenes Leben Rücksicht nehmen; sonst kann er nicht mein Jünger sein. 27 Wer das für ihn bestimmte Kreuz nicht willig auf sich nimmt und so in meine Fußstapfen tritt, gehört nicht zu meinen Jüngern. 28 Denn wer von euch würde, wenn er einen Turm bauen wollte, sich nicht vorher hinsetzen und die Kosten berechnen, um festzustellen, ob auch seine Mittel ausreichen; 29 denn wenn er das Fundament gelegt hätte und könnte dann nicht mehr weiter bauen, so würden all die Leute, die das sähen, über ihn zu spotten anfangen 30 und sagen: Dieser Mann da hat einen Bau begonnen, den er nicht zu Ende führen kann. 31 Oder gesetzt den Fall, ein König wäre gezwungen, gegen einen andern König zu Felde zu ziehen. Würde er sich nicht sofort hinsetzen und zuerst beratschlagen, ob er imstande ist, mit den ihm zur Verfügung stehenden zehntausend Mann erfolgreich in den Kampf zu ziehen gegen einen Feind, der mit zwanzigtausend Mann heranrückt. 32 Und wenn er fände, dass er dies nicht kann, würde er da nicht eine Gesandtschaft zu dem Feinde schicken, so lange dieser noch in weiter Ferne ist, und um Friedensverhandlungen bitten? 33 So wird auch keiner von euch mein Jünger sein können, wenn er nicht imstande ist, auf alles, was ihm gehört, zu verzichten."

34 "Das Salz ist etwas Gutes. Verliert es aber seine Salzkraft, womit könnte man es wieder zu Salz machen? 35 Weder für den Acker noch für den Dunghaufen hätte es irgend einen Wert. Man müsste es eben wegwerfen. Wer das rechte Verständnis für meine Worte hat, der soll es sich zunutze machen."

Kapitel 15

1 Die sich besonders nahe an Jesus herandrängten, um seinen Worten zu lauschen, waren die Zöllner und jene, die in der Öffentlichkeit als Sünder betrachtet wurden. 2 Das gab den Pharisäern und Schriftgelehrten Veranlassung, bei jeder sich bietenden Gelegenheit darüber zu murren, indem sie sagten: 3 "Die Sünder nimmt dieser Mensch bei sich auf und legt sich mit ihnen zu Tisch." Als Antwort darauf erzählte ihnen Jesus folgendes Beispiel: 4 "Nehmen wir an, einer von euch hätte hundert Schafe, und eins davon käme ihm abhanden. Würde er da nicht die neunundneunzig auf der Weide lassen und das vermisste suchen gehen, bis er es findet? 5 Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es dann nicht voller Freude auf seine Schultern? 6 Und kommt er nach Hause, ruft er nicht seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt ihnen: Freuet euch mit mir; denn ich habe mein Schaf, das verloren war, wiedergefunden? 7 Glaubt mir, so wird auch im Himmel über einen einzigen Gottlosen, der sich bekehrt, mehr Freude sein, als über neunundneunzig gottestreue Seelen, die einer Bekehrung nicht bedürfen." - 8 "Nehmen wir ein anderes Beispiel: Eine Frau hat zehn Silberstücke und verliert eins davon. Wird sie nicht ein Licht anzünden und das ganze Haus auskehren und eifrig suchen, bis sie es findet? 9 Und hat sie es gefunden, ruft sie dann nicht ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt: Freuet euch mit mir; denn ich habe das Silberstück wieder gefunden, das ich verloren hatte? 10 Ich versichere euch, dass dieselbe Freude bei den Engeln Gottes herrschen wird, wenn ein einziger Gottloser sich bekehrt. - 11 Als drittes Beispiel führte er an: "Ein Mann hatte zwei Söhne. 12 Der jüngste sagte zum Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zusteht! Der tat es auch und verteilte sein Vermögen unter die beiden. 13 Kurz darauf packte der Jüngste alles zusammen und zog in die Fremde. Dort brachte er sein Vermögen in einem ausschweifenden Leben durch. 14 Als er alles draufgetrieben hatte, entstand in jenem Lande eine schreckliche Hungersnot, und er litt zum ersten Mal in seinem Leben großen Mangel. 15 Nach langem Hinundherwandern trat er schließlich bei einem Bürger jenes Landes in Dienst. Der schickte ihn auf sein Landgut, um die Schweine zu hüten. 16 Gern hätte er mit den Schoten des Johannesbrotbaumes, die man als Schweinefutter verwendete, seinen Hunger gestillt. Aber niemand gestattete es ihm. 17 Da ging er in sich und sprach zu sich selbst: All die vielen Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, und ich komme hier vor Hunger um. 18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater zurückkehren und ihm meine Schuld bekennen. "Vater, - so will ich sagen - ich habe gesündigt gegen den Himmel und gegen dich; 19 ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Behandle mich wie einen deiner Tagelöhner!' 20 So machte er sich denn auf den Heimweg zu seinem Vater. Als er noch weit vom Vaterhause entfernt war, sah sein Vater ihn schon kommen und empfand tiefes Mitleid mit ihm. Er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 'Vater', - stammelte der Sohn - 'ich habe gesündigt gegen den Himmel und gegen dich; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen; behandle mich wie einen deiner Tagelöhner!' 22 Der Vater aber befahl seinen Knechten: 'Holt schnell das beste Gewand und legt es ihm an; steckt ihm einen Ring an seine Hand und gebt ihm Schuhe für seine Füße; 23 bringt das gemästete Kalb und schlachtet es und lasst uns essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder zum Leben gekommen; er war verloren und ist soeben wiedergefunden worden'. Und es herrschte große Freude unter ihnen. 25 Sein ältester Sohn war draußen auf dem Felde. Als er heimkehrte und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. 26 Da rief er einen von den Knechten und fragte ihn, was das zu bedeuten habe. 27 Dieser erzählte ihm: Dein Bruder ist zurückgekommen. Da ließ dein Vater vor Freude, dass er ihn gesund wieder hat, das gemästete Kalb schlachten. 28 Darüber wurde der Älteste sehr aufgebracht und wollte nicht hinein gehen. Da kam der Vater zu ihm heraus und redete ihm gut zu. 29 Doch er gab dem Vater zur Antwort: 'Sieh mal, Vater, ich diene dir nun schon so viele Jahre und habe noch nie irgend ein Gebot von dir übertreten; doch du gabst mir nicht ein einziges Mal ein Ziegenböcklein, dass ich ein Festessen mit meinen Freunden hätte halten können. 30 Aber deinem Sohn, der sein ganzes Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat und nun zurückkommt, dem lässt du das gemästete Kalb schlachten.' - 31 'Mein lieber Sohn', - entgegnete der Vater - 'du bist ja allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein. 32 Aber mussten wir uns denn nicht freuen und fröhlich sein, weil dieser dein Bruder, der tot war, wieder zum Leben kam; der verloren war und nun wiedergefunden wurde?'"

Kapitel 16

1 Folgendes Gleichnis trug er seinen Jüngern vor: "Es war einmal ein reicher Mann; der hatte einen Verwalter. Nun wurde ihm hinterbracht, dass dieser ihn bei der Vermögensverwaltung betrüge. 2 Da ließ er ihn rufen und sagte zu ihm: Was muss ich da von dir hören? Mache sofort die Abrechnung über deine Verwaltung; denn du kannst nicht mehr länger mein Verwalter bleiben.' - 3 'Was soll ich nun anfangen', - dachte der Verwalter - 'wenn mein Herr mir jetzt die Verwaltung entzieht? Als Taglöhner mit der Hacke zu arbeiten, dazu bin ich zu schwach - und betteln zu gehen, schäme ich mich. - 4 Doch, da ist mir eben ein sehr guter Gedanke gekommen, was ich tun soll, damit ich bei verschiedenen Familien Aufnahme finde, sobald ich meines Amtes enthoben bin.' 5 Sofort ließ er die Schuldner seines Herrn einzeln zu sich kommen und fragte den ersten: 'Wie viel schuldest du meinem Herrn?' - 6 'Hundert Fass Öl' war seine Antwort. - 'Hier', - entgegnete der Verwalter 'nimm deinen alten Schuldschein wieder an dich und schreibe einen neuen über fünfzig Fass!' - 7 Dann fragte er einen andern: 'Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?' Dieser gab an: 'Hundert Malter Weizen'. Auch ihm sagte der Verwalter: 'Nimm hier deinen alten Schuldschein wieder an dich und schreibe einen neuen über achtzig Malter.' 8 Und der Herr musste anerkennen, dass sein Verwalter bei dieser unehrlichen Handlungsweise doch mit kluger Berechnung vorgegangen war. - Daraus könnt ihr ersehen, dass die Menschen der heutigen Zeit im Verkehr mit  ihresgleichen weiter schauen als die Kinder des Lichtes. 9 Darum gebe auch ich euch den Rat: Machet euch Freunde mit den Gütern, die an sich so wertlos sind, damit man euch in die jenseitigen Zelte aufnimmt, sobald es mit dem Diesseits vorüber ist. 10 Wer im Kleinsten treu ist, der ist auch treu im Großen; und wer im Kleinen nicht das Rechte tut, der tut es auch nicht im Großen. 11 Wenn ihr nicht einmal in der Verwendung derjenigen Güter ehrlich ward, die an sich so wertlos sind, wer wird euch dann die wahren Güter Gottes anvertrauen? 12 Und wenn ihr euch in der Behandlung fremden Gutes nicht zuverlässig erwieset, wer könnte euch dann das Gut anvertrauen, das euer eigen ist? 13 Kein Knecht kann gleichzeitig im Dienste zweier Herren stehen. Entweder wird er die Dienstleistungen, die er dem ersten schuldig wäre, verabscheuen und sie dem zweiten gegenüber gern erfüllen, oder er würde zu dem ersten halten und sich um den zweiten nicht kümmern. Ihr könnt nicht Knechte Gottes und gleichzeitig Sklaven des Geldes sein."

14 Dies alles hörten auch die Pharisäer, die von der Geldgier beherrscht waren, und sie rümpften die Nase über ihn. 15 An sie richtete er nun die Worte: "Ihr gehört zu jenen Menschen, die sich vor andern den Schein geben, als seien sie in den Augen Gottes vollkommen; aber Gott kennt euer Inneres. Denn was in den Augen der Welt als etwas Hohes gilt, wird von Gott als etwas Verabscheuungswürdiges angesehen."

16 Das Mosaische Gesetz und die Gesandten Gottes, bis einschließlich Johannes den Täufer, haben den Verkehr mit der Geisterwelt Gottes als frohe Botschaft vorausverkündet. Aber seither ging man mit Gewalt gegen jeden vor, der mit der Geisterwelt Gottes in Verkehr treten wollte. 17 Und doch werden eher die Himmelskörper und die Erde vergehen, als dass auch nur ein Strichlein von dem unerfüllt bleibt, was das Mosaische Gesetz vorausverkündete."

18 "Schon der begeht Ehebruch, der sich von seiner Frau trennt und eine andere heiratet; ebenso der, welcher eine Frau heiratet, die sich selbst von ihrem Manne getrennt hat."

19 Die Wahrheit, die er ihnen nun vorbringen wollte, machte er an folgendem Beispiel klar: "Es lebte einmal ein reicher Mann; sein Name war Phinees. Der kleidete sich in Purpur und kostbare Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Ein Armer aber, namens Lazarus, lag vor dessen Türhalle und war ganz mit Geschwüren bedeckt. 21 Er wäre froh gewesen, wenn er mit den Brocken, die vom Tische des Reichen fielen, seinen Hunger hätte stillen können. Doch es fand sich keiner, der sie ihm gab. Nur die Hunde hatten Erbarmen mit ihm. Sie kamen herbei und beleckten seine Geschwüre. 22 Eines Tages starb der Arme und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. 23 Als er nun im Totenreich seine Augen erhob, sah er in weiter Ferne den Abraham und, an dessen Seite ruhend, den Lazarus. 24 Da rief er inständig: Vater Abraham! Habe doch Erbarmen mit mir und sende den Lazarus hierher, damit er seine Fingerspitzen ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide große Qualen in dieser Glut'. 25 Doch Abraham gab ihm zur Antwort: Mein Sohn, bedenke, dass du all das Gute, das du dir wünschen mochtest, in deinem irdischen Leben empfangen hast, während Lazarus in gleich großem Maße das Leidvolle zu tragen hatte. Dieser findet nun hier seinen Trost und du dort deine Qualen. 26 Doch abgesehen von alledem, ist zwischen uns und euch eine große Kluft festgelegt, damit die, welche von hier zu euch hinüber wollten, es nicht könnten, und man auch von dort nicht hierher gelangen kann.' 27 Jener flehte: 'So bitte ich denn, Vater Abraham, sende ihn wenigstens in mein väterliches Haus! 28 Ich habe dort noch fünf Brüder; die soll er ernstlich warnen, damit sie nicht auch an diesen Ort der Qual kommen.' 29Abraham entgegnete ihm: 'Sie haben ja Mose und die Gesandten Gottes; auf die mögen sie hören.' 30 Jener aber erwiderte: 'Nein, Vater Abraham, - das tun sie nicht; aber wenn einer von den Toten zu ihnen käme, dann würden sie sich wohl bekehren.' - 31 'Wenn sie auf Mose und die Gesandten Gottes nicht hören', - antwortete Abraham - 'so werden sie auch nicht glauben, wenn einer von den Toten aufersteht und zu ihnen kommt.'"

Kapitel 17

1 Weiter sagte er zu seinen Jüngern: "Die Verführungen zur Abkehr von Gott kann man nicht aus der Welt schaffen. Aber wehe dem, der sie verschuldet. 2 Es wäre besser für ihn, wenn ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er ins Meer versenkt würde, als dass er auch nur einem von diesen arglosen Leuten Anlass zu einer solchen Sünde gäbe. Gebe daher jeder auf sich selbst acht! - 3 Hat dein Bruder gegen dich gesündigt, so halte es ihm vor! Und wenn er es bereut, dann sollst du ihm vergeben. 4 Und sollte er sich siebenmal am Tage gegen dich vergehen und siebenmal wieder zu dir kommen und bekennen, dass es ihm leid tut, so sollst du ihm jedesmal vergeben!"

5 Die Apostel baten den Herrn: "Lass das Gottvertrauen in uns größer werden!" 6 Der Herr gab zur Antwort: "Wenn ihr Gottvertrauen hättet von der Größe eines Senfkörnleins und sprächet zu diesem Berge: 'Geh von hier nach dort!' so würde er es tun; und zu diesem Maulbeerbaume: Verpflanze dich von hier ins Meer!' so würde er euch gehorchen."

7 "Angenommen, einer von euch hätte einen Knecht zum Pflügen oder zur Pflege des Viehes; würde er dann, wenn jener vom Felde heimkommt, ihm sagen: 'Komm gleich her und nimm am Tische Platz? 8 Würde er ihm nicht vielmehr die Weisung geben: Bereite mir das Abendessen und dann binde dir eine Schürze um und warte mir auf, bis ich gegessen und getrunken habe; nachher kannst auch du essen und trinken? 9 Er ist dem Knecht doch wohl nicht noch Dank dafür schuldig, dass er die ihm erteilten Befehle ausgeführt hat? 10 Was ich eben sagte, gilt auch für euch. Wenn ihr alles getan habt, was ich euch geboten, so sprecht: Wir sind Knechte und verdienen keinen Dank; denn wir taten nur unsere Schuldigkeit.'"

11 Auf seiner Wanderung nach Jerusalem kam Jesus mitten durch Samaria und Galiläa. 12 Eines Tages näherte er sich einem Dorfe, bei dem sich zehn Aussätzige aufhielten. Diese blieben von ferne stehen 13 und  schrieen mit weithin vernehmbarer Stimme: "Jesus, lieber Meister, habe Erbarmen mit uns!" 14 Als er ihrer ansichtig wurde, rief er ihnen zu: "Ihr sollt geheilt sein! Gehet nur hin und zeiget euch den Priestern!" Während sie sich auf den Weg machten, wurden sie vom Aussatz rein. 15 Einer von ihnen kam sofort, als er sich vom Aussatz gereinigt sah, wieder zurück und pries Gott mit lauter Stimme; 16 dann warf er sich vor den Füßen Jesu auf sein Antlitz nieder und dankte ihm. Und das war ein Samariter. 17 Da sagte Jesus: "Alle zehn sind doch rein geworden; wo sind denn die neun? 18 Unter all diesen Geheilten befand sich also keiner, der zurückgekommen wäre, um Gott die Ehre zu geben, außer diesem Fremdling!" 19 An diesen wandte er sich mit den Worten: "Stehe auf und gehe heim! Dein Glaube hat dir geholfen."

20 Von den Pharisäern wurde er eines Tages gefragt: "Wann kommt denn die Geisterwelt Gottes zu uns?" Er gab ihnen zur Antwort: "Die Geisterwelt Gottes kommt nicht so, dass man an der Straße stehen und sie angaffen kann. 21 Auch dürft ihr denen nicht glauben, die euch etwa sagen sollten: Siehe, hier ist die Geisterwelt Gottes oder dort ist sie! Denn die Geisterwelt Gottes ist in eurer Mitte." 22 Und an seine Jünger gewendet fuhr er fort: "Es wird eine Zeit kommen, wo ihr euch einen einzigen von den Tagen herbeiwünscht, die ihr jetzt mit dem Menschensohn verlebet, doch ihr werdet diesen Wunsch nicht erfüllt sehen. 23 Wenn man daher euch später einmal sagen sollte: Siehe hier ist der Menschensohn! oder: Siehe dort ist er! - so gehet nicht hin und gebt nichts auf solches Gerede. 24 Denn wenn der Menschensohn wiedererscheint, dann wird es sein, wie wenn ein Blitz aufleuchtet und seinen Strahl über das ganze Himmelszelt hin schleudert. 25 Doch ehe dieser Zeitpunkt da ist, muss er noch viel leiden und von diesem Volke verstoßen werden.

26 In den Zeitperioden, in denen der Menschensohn wiedererscheint, wird es jedesmal ergehen, wie in den Tagen des Noah: 27 Man aß und trank; Männer suchten sich Frauen, und Frauen suchten sich Männer; da kam plötzlich der Tag, wo Noah in die Arche ging; die Sintflut brach herein und vernichtete alle. 28 Es wird ferner so sein, wie in den Tagen des Lot. Auch damals dachte man nur an Essen und Trinken, an Kaufen und Verkaufen, an Pflanzen und Bauen. 29 Da kam der Tag, wo Lot Sodom verließ; Feuer und Schwefel regnete es vom Himmel und vernichtete alle. 30 Ebenso wird es auch an dem Tage sein, an dem der Menschensohn ohne menschliche Hülle erscheinen wird. 31 Wer an jenem Tage auf dem Dache seines Hauses ist, während seine Sachen sich noch drinnen befinden, der steige nicht erst hinab, um sie zu holen. Und ebenso soll der, welcher auf dem Felde ist, sich nicht nach dem umwenden, was er zu Hause zurückgelassen. 32 Denkt an Lots Weib! 33 Wer sein irdisches Leben voll genießen will, der wird sein geistiges Leben verlieren; wer aber auf die Genüsse seines irdischen Lebens zu verzichten bereit ist, wird sich die Freuden des geistigen Lebens sichern. 34 Ich sage euch: In einer solchen Nacht werden zwei Männer auf demselben Lager liegen; der eine wird mitgenommen, der andere zurückgelassen. 35 Zwei Frauen werden an derselben Handmühle mahlen; die eine wird mitgenommen, die andere zurückgelassen. 36Zwei werden auf demselben Acker sein; der eine wird mitgenommen, der andere zurückgelassen." 37 Da fragten ihn die Jünger: "Herr, wo bleiben denn die, welche zurückgelassen werden?" Er gab ihnen zur Antwort: "Dort, wo das Aas zu finden ist, da ist auch die Sammelstelle für die Aasgeier."

Kapitel 18

1 Um sie darüber zu belehren, dass man beharrlich beten müsse und des Betens nicht überdrüssig werden dürfe, führte er ihnen folgendes Beispiel an: 2 "In einer Stadt lebte ein Richter, der weder Gott fürchtete, noch auf irgend einen Menschen Rücksicht nahm. 3 In derselben Stadt lebte auch eine Witwe. Diese kam immer wieder zu jenem Richter mit der Bitte: 'Schaffe mir doch endlich Recht gegenüber meinem Widersacher!' 4 Doch eine geraume Zeit hindurch störte sich der Richter nicht daran. Schließlich aber besann er sich eines Bessern, indem er sich sagte: Wenn ich mich auch vor keinem Gott fürchte und auf keinen Menschen Rücksicht nehme, 5 so will ich dieser Witwe doch endlich zu ihrem Recht verhelfen; denn mit ihrem ewigen Klagen wird sie mir lästig, und am Ende kommt sie noch und wird in ihrer Erregung handgreiflich gegen mich." 6 "Habt ihr gehört", - fuhr nun der Herr fort -"was dieser ungerechte Richter sagte? 7 Sollte nun Gott nicht auch seinen Auserwählten Recht verschaffen, die Tag und Nacht zu ihm rufen, wenn er auch mit seiner Hilfe eine Zeitlang zögern mag? 8 Ganz gewiss wird er ihnen gar bald Recht verschaffen. Doch, wird der Menschensohn, der hernieder gekommen ist, auf Erden auch den erforderlichen Glauben vorfinden?

9 Zur Beschämung gewisser Leute, die auf ihr eigenes Rechttun pochen und auf alle Mitmenschen mit Geringschätzung herabsehen, erzählte er ihnen folgendes Gleichnis: 10 "Zwei Männer gingen hinauf in den Tempel, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand in stolzer Haltung da und betete bei sich: 'O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin, wie die andern Menschen - ich bin kein Räuber, kein Betrüger, kein Ehebrecher, bin auch nicht, wie dieser Zöllner da. 12 Zweimal in der Woche faste ich und gebe den Zehnten von allen meinen Einkünften.' - 13 Der Zöllner dagegen blieb am Eingange stehen und getraute sich nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug an seine Brust und betete: 'O Gott, sei mir Sünder gnädig!' - 14 Glaubt mir, dieser ging nach Hause mit einem Herzen, das Gott wohlgefälliger war, als das jenes Pharisäers. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden."

15 Die Leute pflegten ihre kleinen Kinder zu Jesus zu bringen, damit er ihnen die Hände auflege. Jedesmal, wenn die Jünger dies sahen, fuhren sie die Leute barsch an. 16 Jesus aber rief ihnen die tadelnden Worte zu: "Lasst doch die Kinder zu mir kommen und wehret es ihnen nicht! Denn jenen, die das Herz eines Kindes haben, wird die Verbindung mit der Geisterwelt Gottes zu teil. Ich betone noch einmal: 17 Wer die Verbindung mit der Geisterwelt Gottes nicht mit einem kindlichen Herzen anzunehmen bereit ist, wird niemals Zutritt zu dieser Geisterwelt erlangen."

18 Einmal richtete ein Vorsteher die Frage an ihn: "Guter Meister, was muss ich tun, um des zukünftigen Lebens teilhaftig zu werden?" Jesus gab ihm zur Antwort: 19 "Warum nennst du mich 'gut'? Keiner ist gut als nur Einer: nämlich Gott. 20 Was deine Frage betrifft, so kennst du ja die Gebote: du sollst nicht ehebrechen, nicht töten, nicht stehlen, nicht falsches Zeugnis ablegen, deinen Vater und deine Mutter ehren!" - 21 "Das alles habe ich von Jugend auf gehalten", entgegnete dieser. 22 Darauf erwiderte ihm Jesus: "Nur eins fehlt dir noch: verkaufe all dein Besitztum und verteile den Erlös unter die gänzlich Armen, dann wirst du Reichtümer im Jenseits haben! Dann komme und begleite mich!" 23 Bei diesen Worten wurde jener äußerst niedergeschlagen; denn er war sehr reich. 24 Als ihn Jesus so traurig da stehen sah, sagte er: "Wie schwer ist es doch für die Begüterten, in Verbindung mit dem Geisterreich Gottes zu kommen! 25 Ja, es ist leichter, dass ein Kamel [Strick] durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher die Verbindung mit der Geisterwelt Gottes erlangt." 26 Da sagten die Zuhörer: "Welcher Reiche kann dann überhaupt noch gerettet werden?" 27 Jesus antwortete: "Was bei den Menschen unmöglich ist, ist dennoch möglich bei Gott." 28 Da ergriff Petrus das Wort: "Siehe", - sagte er - "wir gehören zu denen, die alles, was sie ihr Eigen nannten, preisgegeben haben und dir nachgefolgt sind." 29 Jesus entgegnete ihm: "Seid überzeugt, dass noch niemand Haus oder Weib, Geschwister, Eltern oder Kinder in diesem Leben verlassen hat, um in Verbindung mit der Geisterwelt Gottes zu kommen, 30 ohne dass er schon im Diesseits viel Wertvolleres dafür erhalten hätte und im Jenseits das zukünftige Leben."

31 Dann nahm er die Zwölf beiseite und sagte zu ihnen: "Wir ziehen jetzt hinauf nach Jerusalem. Dort wird alles in Erfüllung gehen, was die Propheten von dem Menschensohn geschrieben haben. 32 Denn er wird den Ungläubigen ausgeliefert, verspottet und angespieen werden; 33 man wird ihn geißeln und töten, und am dritten Tage wird er auferstehen." 34 Doch sie konnten das alles nicht fassen; der Sinn seiner Worte blieb ihnen dunkel, und sie begriffen nicht, was er damit sagen wollte.

35 Als er in die Nähe von Jericho kam, saß ein Blinder am Wege und bettelte. 36 Als er nun hörte, dass so viele Menschen an ihm vorbeigingen, fragte er, was das wohl zu bedeuten habe. 37 Man sagte ihm, Jesus von Nazareth komme vorüber. 38 Da rief er, so laut er konnte: "Jesus, Sohn Davids, erbarme dich meiner!" 39 Die ihm am nächsten waren, fuhren ihn an, er solle still sein. Er aber schrie um so mehr; "Sohn Davids, erbarme dich meiner!" 40 Jesus blieb stehen und befahl, ihn zu ihm zu bringen. Als er nahe bei ihm war, richtete Jesus die Frage an ihn: 41"Was willst du denn, dass ich für dich tun soll?" - "Herr", - antwortete  jener - "ich möchte mein Augenlicht wieder haben." - 42 "Du sollst es wieder haben!" - entgegnete Jesus. "Dein gläubiges Vertrauen hat dir Heilung gebracht." 43 Sofort konnte er sehen und schloss sich ihm an. Er pries Gott, und die ganze Volksmenge, die Zeuge dieses Vorfalls war, stimmte in den Lobpreis Gottes ein.

 Kapitel 19

1 Jesus kam dann nach Jericho und ging durch die Stadt hindurch. 2 Darin wohnte ein Mann namens Zachäus. Er war ein Oberzöllner und sehr wohlhabend. 3 Er hätte so gern aus nächster Nähe gesehen, was dieser Jesus wohl für ein Mann sei. Doch wegen der großen Volksmenge konnte er es nicht; denn er war klein von Gestalt. 4 So suchte er denn einen größeren Vorsprung vor den andern zu gewinnen und kletterte auf einen Feigenbaum, um ihn besser zu sehen; denn dort musste er vorbeikommen. 5 Als nun Jesus an dieser Stelle anlangte, sah er ihn und rief ihm zu: "Zachäus, steige schnell herab; denn ich muss heute bei dir einkehren." 6 Eilends kletterte er vom Baume herunter und nahm ihn mit großer Freude bei sich auf. 7 Als die Umstehenden dies sahen, ging ein Murren durch ihre Reihen, und es fielen die Worte: "Bei einem öffentlichen Sünder ist er eingekehrt und weilt als Gast in seinem Hause." 8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sagte: "Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens will ich denen geben, die nichts besitzen; und wenn ich einem zuviel abverlangt habe, so will ich es vierfach ersetzen." 9 Jesus gab ihnen zur Antwort: "Heute ist diesem Haus Heil widerfahren; denn auch er ist ein Sohn Abrahams. 10 Der Menschensohn ist ja gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war."

11 Da sie seinen Worten gespannt lauschten, setzte er seine Belehrung fort. Und weil er in der Nähe von Jerusalem war, und die Leute meinten, das Erscheinen der Geisterwelt Gottes stehe unmittelbar bevor, erzählte er ihnen folgendes Gleichnis: 12 "Ein Mann aus hochedlem Geschlecht reiste in ein fernes Land, um dort als König seine Herrschaft anzutreten und dann wieder zurückzukehren. 13 Er rief nun zehn seiner Beamten zu sich und gab ihnen zusammen zwanzigtausend Mark mit dem Auftrag: 'Macht während meiner Abwesenheit Geschäfte damit!' 14 Seine Mitbürger aber hassten ihn und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser unser König wird.' 15 Als er nun nach Empfang der Königswürde zurückkehrte, ließ er die Beamten, denen er das Geld gegeben hatte, zu sich rufen. Er wollte erfahren, was sie damit ausgerichtet hätten. 16 Der erste kam und sagte: 'Herr, deine zweitausend Mark haben sich verzehnfacht.' - 17 'O du guter Knecht', - erwiderte der Herr - 'weil du im Kleinen so zuverlässig warst, sollst du die Verwaltung von zehn Städten haben!' 18 Der zweite kam und sagte: 'Herr, deine zweitausend Mark haben sich verfünffacht'. 19 Diesem gab er die Antwort: 'Und du sollst Statthalter über fünf Städte sein!' 20 Dann kam der dritte und sagte: 'Herr! Hier sind deine zweitausend Mark. Ich habe sie in einem Tuch bis jetzt wohl verwahrt. 21 Denn ich hatte Furcht vor dir, weil du ein überstrenger Mann bist; du willst Geld erheben, wo du keins angelegt hast und willst ernten, wo du nicht sätest.' - 22 'Du schlechter Beamter!' - sagte der Herr - Nach deinen eigenen Worten will ich dich richten. Du wusstest also, dass ich ein strenger Mann sei; dass ich Geld zu erheben suche, wo ich keins angelegt habe und ernten will, wo ich nicht säte. 23 Warum hast du da denn nicht mein Geld auf eine Bank gebracht? Dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen abgehoben'. 24 Darauf befahl er den Umstehenden: 'Nehmt ihm die zweitausend Mark ab und gebt sie dem, der die zwanzigtausend Mark hat. 26 Denn ich versichere euch: Jedem, der eine Gabe benutzt, werden weitere Gaben hinzugegeben; wer sie aber nicht verwertet, dem wird auch die noch genommen, die er zuerst hatte. 27 Was nun diese meine Feinde betrifft, die mich nicht zum König haben wollten, so bringt sie hierher und haut sie vor meinen Augen nieder! Den unnützen Beamten aber werfet hinaus in die äußerste Finsternis; dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.'

28 Nach diesen Worten ging Jesus weiter auf dem Weg nach Jerusalem. 29 Als er in die Nähe von Bethphage und Bethanien kam, die am Fuße des sogenannten Ölbergs liegen, sandte er zwei von seinen Jüngern voraus mit dem Auftrag: 30 "Geht in das Dorf, das vor euch liegt. Gleich am Eingang werdet ihr ein Eselfüllen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt es her! 31 Sollte euch jemand zur Rede stellen, so gebt ihm einfach die Antwort: 'Der Herr benötigt es!'" - 32 Die Boten gingen hin und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte. 33 Als sie das Füllen losbanden, fragten die Leute, denen es gehörte: "Warum bindet ihr unser Füllen los?" 34 Sie gaben zur Antwort: "Der Herr benötigt es!" 35 Dann brachten sie das Füllen zu Jesus, legten ihre Mäntel darauf und ließen Jesus aufsitzen. 36 Als er weiter ritt, breitete die Volksmenge die Mäntel als Teppich für die Hufe des Reittieres vor ihm aus. 37 Als er gerade im Begriff war, den Ölberg hinab zu reiten, begann die ganze Schar seiner Jünger Gott zu loben wegen all der wunderbaren Taten, deren Zeugen sie gewesen waren, und riefen: 38 "Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Hochgelobt sei der König! Friede sei in dem niedern Geisterreich und Jubel in den höchsten Himmelssphären!" 39 Da wandten sich einige von den Pharisäern, die sich unter das Volk gemischt hatten, mit den Worten an ihn: "Meister, verbiete solches deinen Jüngern!" 40 Er gab ihnen jedoch zur Antwort: "Ich sage euch, wenn diese schwiegen, würden die Steine laut aufschreien."

41 Als er sich Jerusalem näherte und der Stadt ansichtig wurde, weinte er über sie und brach in die Klage aus: 42 "Wenn doch auch du und zwar an dem Tage, der für dich bestimmt war, - die Gnade Gottes erkannt hättest, die dir den Frieden bringen sollte! Nun aber blieb sie leider deinen Augen verborgen. 43 So werden denn Tage kommen, an denen deine Feinde einen Wall gegen dich aufwerfen, dich ringsum einschließen und von allen Seiten bedrängen werden. 44 Ja, sie werden dich dem Erdboden gleichmachen und deine Kinder zu Boden schmettern und in deinem ganzen Umkreis keinen Stein auf dem andern lassen, zur Strafe dafür, dass du auf den Zeitpunkt nicht geachtet hast, wo das erbarmende Auge Gottes auf dich gerichtet war."

45 Dann betrat er den Tempel und machte sich daran, die Verkäufer und Käufer die darin waren, hinauszutreiben; die Tische der Geldwechsler stieß er um; ebenso die Bänke der Taubenhändler, indem er ihnen allen zurief: 46 "Es steht geschrieben: 'Mein Haus soll ein Bethaus sein; ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht'." - 47 Er lehrte dann täglich im Tempel.

48 Doch die Hohenpriester und die Schriftgelehrten samt den sonstigen Führern des Volkes trachteten ihm nach dem Leben. Sie fanden aber keine günstige Gelegenheit, ihr Vorhaben auszuführen; denn das ganze Volk war stets eng um ihn geschart, um seinen Worten zu lauschen.

Kapitel 20

1 Eines Tages lehne er wieder im Tempel und erklärte die Heilsbotschaft Gottes. Da traten die Oberpriester und Schriftgelehrten mit den Ältesten des Volkes auf ihn zu 2 und stellten die Frage an ihn: "Sprich! Mit was für einer Vollmacht tust du dies, und wer ist es, der dir das Recht dazu erteilt hat?" 3 Er antwortete ihnen: "Ich will euch eine Gegenfrage stellen: 4 Stammte die Taufe, die Johannes spendete, vom Himmel oder von Menschen?" 5 Da überlegten sie sich die Frage und dachten: Sagen wir: 'vom Himmel' - dann wird er uns vorhalten: Warum habt ihr ihm denn keinen Glauben geschenkt?' 6 Sagen wir aber: 'von Menschen' - so wird das ganze Volk uns steinigen; denn es ist überzeugt, dass Johannes ein Prophet Gottes war. 7 Darum gaben sie ihm die Antwort, sie wüssten nicht, woher sie stamme. 8 "Dann sage auch ich nicht", - entgegnete Jesus - "mit welchem Recht ich dies tue."

9 Nun wandte er sich wieder ans Volk und erzählte ihnen folgendes Gleichnis: "Ein Mann legte einen Weinberg an und verpachtete ihn an Winzer. 10 Dann ging er für längere Zeit außer Landes. Zu dem Termin, an dem der Pachtzins fällig war, sandte er einen Knecht zu den Winzern, damit sie den vereinbarten Teil von dem Ertrag des Weinbergs als Pachtzins an ihn ablieferten. Aber die Winzer misshandelten den Knecht und schickten ihn mit leeren Händen zurück. 11 Da sandte er einen andern Knecht. Aber auch ihn misshandelten und beschimpften sie und schickten auch ihn mit leeren Händen zurück. 12 Er sandte dann noch einen dritten. Auch diesen schlugen sie blutig und schickten ihn ebenfalls mit leeren Händen zurück. 13 Da sagte sich der Herr des Weinberges: 'Was soll ich machen? - Gut, ich will meinen Sohn - meinen Liebling - zu ihnen senden; - vielleicht werden sie doch vor ihm Achtung haben.' 14 Doch kaum wurden die Winzer seiner ansichtig, da steckten sie die Köpfe zusammen und flüsterten einander zu: 'Das ist der Erbe! Wir wollen ihn töten; dann fällt das Erbe an uns.' 15 So stießen sie ihn denn aus dem Weinberg hinaus und schlugen ihn tot. Was wird nun der Herr des Weinbergs mit diesen machen? - 16 Er wird kommen und diese Winzer umbringen und den Weinberg an andere verpachten." - "Davor behüte uns Gott!" - riefen die Zuhörer. 17 Jesus schaute sie jedoch mit ernsten Blicken an und sprach: "Was bedeuten denn die Worte der Schrift: 'Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. 18 Jeder, der auf diesen Stein fällt, bleibt zerschmettert liegen; auf wen aber der Stein fällt, den wird er zermalmen'?" 19 Da suchten ihn die Schriftgelehrten und Oberpriester noch in derselben Stunde festzunehmen; denn sie hatten wohl gemerkt, dass er das Gleichnis gegen sie gerichtet hatte. Aber sie fürchteten sich vor dem Volke. 20 Um ihm eine Falle zu stellen, sandten sie Spione ab, die sich den Anschein gesetzestreuer Leute gaben, um ihn durch seine eignen Worte ins Netz zu locken, und ihn dann der Gewalt des Statthalters auszuliefern. 21 Diese kleideten nun die Frage in folgende Worte; "Meister, wir wissen, dass du deine Worte und Lehren in voller Aufrichtigkeit vorträgst, auch dabei keinerlei Rücksicht auf Menschen nimmst, sondern den Weg zu Gott wahrheitsgemäß verkündest. 22 Sage uns nun: Ist es recht, dass wir dem Kaiser Kopfsteuer zahlen oder ist es nicht recht?" 23 Da er ihre böse Absicht durchschaute, erwiderte er ihnen: 24 "Zeigt mir eine Steuermünze! Wessen Bild und Aufschrift trägt sie?" Sie antworteten: "Des Kaisers." - 25 "So gebt denn" - sagte er - "dem Kaiser, was dem Kaiser zusteht und Gott, was Gott zusteht!" 26 Es war ihnen also nicht gelungen, ihn im Beisein des ganzen Volkes mit dieser Frage zu fangen; und ganz verblüfft über seine Antwort, schwiegen sie.

27 Nachher traten einige Saduzäer an ihn heran. Da sie die Auferstehung leugnen, erzählten sie ihm folgende Geschichte: 28 "Meister, Mose hat uns vorgeschrieben: Wenn ein Bruder stirbt, der eine Frau hat, aber kinderlos blieb, so soll sein Bruder die Frau heiraten und für seinen verstorbenen Bruder das Geschlecht fortpflanzen. 29 Nun waren da sieben Brüder. Der erste nahm eine Frau und starb kinderlos. 30 Darauf heiratete der zweite Bruder die Frau; 31 dann der dritte und so nach und nach alle sieben; und alle starben, ohne Kinder zu hinterlassen. 32 Zuletzt starb auch die Frau. 33 Wem wird diese nun am Tage der Auferstehung als Frau angehören? Alle sieben haben sie ja zur Frau gehabt." 34Jesus entgegnete ihnen: "Die Kinder dieser Weltzeit suchen sich als Männer ihre Frauen und als Frauen  ihre Männer. 35 Diejenigen aber, die würdig befunden wurden, an jener Weltzeit und an der Auferstehung von den Toten teilzunehmen, brauchen sich als Mann keine Frau und als Frau keinen Mann zu suchen. 36 Es ist dann nicht mehr ihre Bestimmung, zu sterben, sondern sie sind den Engeln gleich, weil sie Kinder der Auferstehung sind. 37 Dass aber die Toten wirklich auferweckt werden, hat auch Mose in der Erzählung vom Dornbusch klar zum Ausdruck gebracht; denn er nennt den Herrn den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs. 38 Gott ist aber doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden. Denn ihm kommen alle wieder zum Leben." 39 Auf diese Antwort hin sagten mehrere Schriftgelehrte: "Meister, du hast sie mit deiner Antwort völlig geschlagen!" 40 Und sie wagten nicht mehr, eine weitere Frage an ihn zu stellen.

41 Nun richtete auch er eine Frage an sie: "Wie kann man behaupten", - sagte er - "der Messias sei ein Sohn Davids? 42 Sagt doch David selbst im Buch der Psalmen: 'Der Herr spricht zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, 43 bis ich deine Feinde dir zu Füßen gelegt habe.' 44 David nennt den Messias also seinen 'Herrn'; wie kann er da sein 'Sohn' sein?"

45 Dann richtete er folgende Worte an seine Jünger und zwar so, dass das ganze Volk es hören konnte: - 46 "Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die so gern in langen Gewändern einhergehen und sich in der Öffentlichkeit begrüßen lassen; die so gerne die ersten Sitze in den Synagogen und die Ehrenplätze bei den Gastmählern einnehmen; - 47 die der Witwen Eigentum in ihrer Habsucht an sich zu reißen suchen, indem sie zum Schein lange Gebete gegen Bezahlung für sie verrichten. Sie werden ein um so härteres Strafurteil über sich ergehen lassen müssen.

Kapitel 21

1 Einmal sah er zu, wie die Reichen ihre Gaben in den Opferkasten warfen. 2 Dabei beobachtete er, wie auch eine arme Witwe zwei Scherflein hineintat, was einem Pfennig gleichkommt. 3 Daran knüpfte er die Bemerkung: "Diese bettelarme Witwe hat mehr als alle andern geopfert; 4 denn die andern haben allesamt bloß von ihrem Überfluss eine Gabe in den Gotteskasten gelegt. Sie aber hat trotz ihrer äußersten Armut das Letzte hineingeworfen, was sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes besaß."

5 Einige äußerten ihre Bewunderung über den Tempel mit seinem Schmuck an herrlichen Steinen und Weihegeschenken. 6 "Es werden Tage kommen", - erwiderte er - "wo von allem, was ihr jetzt da sehet, von diesem ganzen Mauerwerk kein Stein auf dem andern bleibt; alles wird niedergerissen." - 7 "Meister", - fragten sie - "wann wird das denn sein? Und was kannst du uns als Zeichen angeben, an dem wir erkennen, wann du wiederkommst?" 8 Er antwortete: "Gebet acht, dass ihr euch nicht täuschen lasst! Denn viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: 'Ich bin der Messias' und: 'Die Zeit ist nahe!' Laufet ihnen nicht nach! 9 Wenn ihr ferner von Kriegen und Aufständen hört, so fürchtet euch nicht! Denn das alles muss vorher eintreten; doch es bedeutet noch lange nicht das Ende. 10 Auch wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere. 11 Gewaltige Erdbeben werden entstehen und in manchen Ländern Hungersnot und Seuchen. Schreckliche Erscheinungen und außergewöhnliche Zeichen am Himmel wird man erleben. 12 Aber bevor das alles eintrifft, wird man Hand an euch legen und euch verfolgen. In Synagogen und Gefängnisse, vor Könige und Statthalter wird man euch schleppen um meines Namens willen; 13 da wird euch dann Gelegenheit gegeben werden, Zeugnis für mich abzulegen. 14 Aber in solchen Fällen - und das möget ihr euch besonders tief einprägen - braucht ihr nicht im voraus zu überlegen, wie ihr euch verteidigen sollt. 15 Denn ich werde euch eine Beredsamkeit und eine Weisheit verleihen, der alle eure Widersacher nicht zu widerstehen und nicht zu widersprechen vermögen. 16 Ihr müsst allerdings darauf gefasst sein, dass ihr sogar von Eltern und Brüdern, Verwandten und Freunden verraten werdet, und dass diese den Tod des einen oder andern von euch verschulden. 17 Denn allen werdet ihr verhasst sein, weil ihr nach meinem Namen benannt werdet. 18 Doch es soll kein Haar eures Hauptes verloren gehen. 19 Durch eure Standhaftigkeit werdet ihr euer geistiges Leben zu eurem dauernden Besitz machen."

20 "Sobald ihr Jerusalem von Heeren umlagert seht, sollt ihr erkennen, dass die Zerstörung der Stadt nahe bevorsteht. 21 Dann sollen die Bewohner von Judäa ins Gebirge fliehen, und die Einwohner der Hauptstadt sollen diese nicht verlassen. Wer auf dem Lande wohnt, soll nicht in die Stadt flüchten. 22 Denn dies sind die Tage der Vergeltung, an denen alles in Erfüllung geht, was in der Schrift geschrieben steht. 23Wehe den Frauen, die in jenen Tagen in Hoffnung sind und denen, die ein Kind an der Mutterbrust zu stillen  haben. Denn eine große Drangsal wird im Lande herrschen und ein furchtbares Strafgericht über dieses Volk ergehen. 24 Durch die Schärfe des Schwertes werden sie umkommen und der Rest unter alle Völker als Gefangene geschleppt werden. Und Jerusalem wird von den Füßen von Ungläubigen solange zerstampft werden, bis diese ihr Zerstörungswerk ganz vollendet haben."

25 "Dann werden Zeichen an Sonne, Mond und Sternen zu sehen sein. Die Geister in den irdischen Sphären werden in Scharen zusammengetrieben und auch die Geister, welche vom wegelosen Meer und den Fluten der Gewässer festgehalten werden, 26 während von den lebenden Menschen manche ihre Seele aushauchen vor Furcht und banger Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen werden. Ja selbst die niedern Mächte des Jenseits werden erbeben. 27 Dann wird man den Menschensohn inmitten eines gewaltigen Geisterheeres mit großer Macht und wunderbarem Glanz erscheinen sehen. 28 Wenn nun das alles sich zu vollziehen beginnt, dann richtet Herz und Haupt empor; denn eure Erlösung naht.

29 Er schloss mit dem Gleichnis: "Betrachtet den Feigenbaum und alle andern Bäume; 30 sobald sie Früchte ansetzen, erkennt man, dass der Sommer schon nahe ist. 31 So sollt auch ihr, wenn ihr diese Dinge eintreten seht, daraus erkennen, dass die Geisterwelt Gottes herannaht. 32 Glaubt mir: Dies Volk wird nicht vergehen, bis das alles geschehen ist. 33 Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht unerfüllt verrinnen. 34 Doch sehet zu, dass eure Herzen nicht etwa durch Schlemmerei und Trunkenheit und weltliche Sorgen beschwert werden, und jener Tag euch unvorbereitet überfalle; 35 denn wie ein Wurfnetz wird er über alle kommen, die auf dem ganzen Erdkreis wohnen. 36 Seid also stets wachsam und betet, damit ihr würdig befunden werdet, all diesen Schicksalen zu entrinnen; dann werdet ihr vor dem Menschensohn bestehen können."

37 Tagsüber pflegte Jesus im Tempel zu lehren. Bei Anbruch der Nacht verließ er die Stadt und begab sich an den Berg, den man den Ölberg nennt, um dort zu übernachten. 38 Das ganze Volk strömte schon früh morgens zu ihm in den Tempel, um seinen Worten zu lauschen.

Kapitel 22

1 Inzwischen kam das Fest der ungesäuerten Brote heran, das man Passah nennt. 2 Die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten Mittel und Wege, ihn zu vernichten. Doch sie fürchteten das Volk. 3 Da fuhr Satan in Judas, der den Beinamen Ischariot führte und einer von den Zwölfen war. 4 Er ging hin und verhandelte mit den Oberpriestern, auf welche Weise er ihnen Jesus in die Hände liefern könnte. 5 Darüber waren sie sehr froh und kamen mit ihm überein, ihm eine gewisse Geldsumme dafür zu zahlen. 6 Er erklärte sich mit der Summe einverstanden und suchte von jetzt ab nach einer günstigen Gelegenheit, um Jesus zu verraten, ohne dass das Volk etwas davon erfuhr. 7 Es nahte derjenige Tag der Osterzeit, an dem man das Osterlamm zu schlachten pflegte. 8 Da sandte Jesus den Petrus und Johannes fort mit dem Auftrag: "Gehet hin und treffet die Vorbereitung für das Essen des  Osterlammes, damit wir das Ostermahl halten können." 9 Sie fragten: "Wo sollen wir es denn herrichten?" 10 Er gab ihnen zur Antwort: "Sobald ihr in die Stadt hineinkommt, wird euch ein Mann begegnen, der einen Wasserkrug trägt; folget ihm in das Haus, in das er hineingeht und sagt zu dem Eigentümer dieses Hauses: 11 Der Meister lässt dich fragen: Wo ist das Gastzimmer, in dem ich das Osterlamm mit meinen Jüngern essen kann? 12 Dann wird er euch einen Saal im obern Teil des Hauses zeigen, der mit Tischchen und Polstern ausgestattet ist. Dort machet alles zurecht." 13 Sie gingen hin und fanden alles so, wie er ihnen gesagt hatte, und trafen die Vorbereitungen für das Ostermahl.

14 Zur festgesetzten Stunde legte er sich mit seinen Jüngern zu Tisch. 15 Er wandte sich nun mit den Worten an sie: "Herzlich habe ich mich danach gesehnt, vor meinem Leiden dieses Ostermahl mit euch zu halten. 16 Denn ich gebe euch die Versicherung, dass ich kein Mahl mehr mit euch zusammen genießen werde, bis es im Geisterreich meines Vaters in einer neuen Form genossen wird." 17 Dann nahm er einen Becher, sprach ein Dankgebet und sagte: "Nehmet diesen Becher und teilt ihn unter euch! 18 Denn ich sage euch: Von dem Erzeugnis des Weinstocks werde ich von nun an nicht mehr trinken, bis zu dem Tage, wo die Geisterwelt Gottes zu euch gekommen ist." 19 Darauf nahm er Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und gab es ihnen mit den Worten: "Dies ist das Sinnbild meines Leibes! 21 Leider muss ich euch sagen: Die Hand dessen, der Verrat an mir übt, ist mit der meinen zusammen auf demselben Tische. 22 Der Menschensohn muss zwar den Weg seines Schicksals gehen; doch wehe dem, durch den er verraten wird." 23 Nun begann unter den Jüngern ein Fragen und Raten, wer von ihnen wohl einer solchen Tat fähig sein könnte. 24 Dabei redeten sie sich in Eifer über die Frage, wer von ihnen wohl der Größte sei. 25 Er machte diesem Streiten mit den Worten ein Ende: "Die Könige der Völker spielen sich als unbeschränkte Herren über sie auf, und ihre Machthaber lassen sich 'Wohltäter' nennen. 26 Doch bei euch darf es nicht so sein. Der Größte unter euch soll sich als der Geringste vorkommen, und der Gebieter als der Diener. Tat ich, der ich hier mit euch zu Tische liege, dies nicht in weit höherem Maße? Denn ich wandelte in eurer Mitte nicht wie einer, der bedient wird, sondern als euer Diener. Auch ihr habt infolge meines Beispiels im Dienen in dieser Richtung Fortschritte gemacht. 28 In den schweren Kämpfen, die mich um-tobten, habt ihr treu an meiner Seite ausgehalten. 29 Und weil mein Vater mich zum König einsetzte, so bestimme ich, 30 dass auch ihr in meinem Königreich an meinem Tische esset und trinket und dass ihr auf Thronen sitzen sollt, um die zwölf Stämme Israels zu richten." 31 Dann wandte sich der Herr an Petrus. "Simon, Simon", - sagte er - "der Satan hat auf sein Verlangen die Erlaubnis erhalten, euch innerlich schütteln zu dürfen, wie man den Weizen im Siebe schüttelt. 32 Für dich aber habe ich gebetet, damit dein Glaube nicht vollständig zusammenbreche; und wenn du dich einst bekehrt hast, dann stärke auch deine Bruder." 33 "Herr", - entgegnete ihm Petrus "an deiner Seite bin ich bereit, sowohl ins Gefängnis als auch in den Tod zu gehen." 34 Er aber gab ihm zur Antwort: "Ich versichere dir, Petrus, es wird heute der Hahn nicht krähen, bevor du dreimal geleugnet hast, mich zu kennen." 35 Dann fuhr er fort: "Als ich euch ohne Geld, ohne Reisetasche und Schuhe aussandte, habt ihr da in irgend einem Punkte Mangel gelitten?" 36 Sie antworteten: "Nein." - "Jetzt aber" - sagte er - "soll derjenige, der einen Beutel mit Geld hat, ihn mitnehmen und auch eine Reisetasche; und wer nichts besitzt, verkaufe seinen Mantel und kaufe sich ein Schwert. 37 Denn ich sage euch, jetzt muss sich noch das Schriftwort an mir erfüllen: 'Er ist unter die Verbrecher gerechnet worden.' Und dann hat mein Schicksal sein Ende erreicht." - 38 "Herr", erwiderten sie -"wir haben hier zwei Schwerter!" Er antwortete: "Es ist schon gut."

39 Er ging dann hinaus an den Ölberg, wie er dies auch sonst zu tun pflegte. Doch diesmal begleiteten ihn auch seine Jünger. 40 Als er an die gewohnte Stelle gekommen war, sagte er zu ihnen: "Betet, damit ihr euch nicht in die Versuchung einlasset!" 41 Dann entfernte er sich etwa einen Steinwurf weit von ihnen, kniete nieder und betete: 42 "Vater, nicht mein Wille soll geschehen, sondern der deine! Wenn es also dein Wille ist, so lass diesen Kelch an mir vorübergehen!" 43 Da erschien ein Engel vom Himmel und stärkte seine Lebenskraft. 44 Nun überfiel ihn eine entsetzliche Todesangst, in der er mit größter Inbrunst betete. Sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die zur Erde niederrannen. 45Nach dem Gebet stand er auf und ging zu seinen Jüngern. Er fand  sie vor übergroßer Traurigkeit eingeschlafen; 46 er weckte sie mit den Worten: "Ihr schlaft? - So stehet denn jetzt auf und betet, damit ihr nicht der Versuchung zum Opfer fallet."

47 Während er noch mit ihnen sprach, erschien plötzlich ein großer Volkshaufe. An ihrer Spitze ging einer von den Zwölfen - Judas Ischariot mit Namen. Er trat auf Jesus zu, um ihn zu küssen; denn er hatte mit ihnen das Zeichen verabredet: "Den ich küsse, der ist's." 48 Jesus aber sagte zu ihm: "Judas, mit einem Kuss verrätst du den Menschensohn?" 49 Als die Begleiter Jesu erkannten, was vorging, fragten sie: "Herr, sollen wir mit dem Schwerte dreinschlagen?" 50 Und einer von ihnen schlug auch wirklich drauflos und traf den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab. 51 Jesus aber sagte zu ihnen: "Lasst es dabei bewenden!" Dann streckte er seine Hand nach dem Knechte aus, erfasste ihn und heilte ihm das Ohr wieder an. 52 Dann wandte er sich an die Oberpriester, an die Hauptleute der Tempelwache und an die Ältesten, die ihn alle umringt hatten, und sagte zu ihnen: "Mit Schwertern und Knütteln seid ihr ausgezogen, als gelte es, einen Räuber einzufangen. 53 Ich war doch täglich bei euch im Tempel; doch da habt ihr keine Hand nach mir ausgestreckt. Aber eine Stunde, wie diese, ist für euch die rechte; und wenn es finster ist, dann seid ihr mächtig." 54 Dann nahmen sie ihn fest und führten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus folgte ihm von weitem. 55 Mitten im Hofe zündete man ein Feuer an; und als alle sich um das Feuer lagerten, suchte sich auch Petrus in der Menge einen Platz, um sich zu wärmen. 56 Eine Magd, die ihn am Feuer sitzen sah, schaute sich ihn sehr scharf an und rief aus: "Dieser da ist auch bei ihm gewesen!" 57 Petrus jedoch verleugnete ihn. "Weib", - sagte er - "ich kenne ihn ja gar nicht." 58 Kurz darauf sah ihn ein anderer und stellte dieselbe Behauptung auf. Petrus entgegnete: "Mensch, das ist nicht wahr!" 59 Nach Verlauf von etwa einer Stunde machte jemand anders die Bemerkung: "Ich sage es mit aller Bestimmtheit: Dieser da ist auch bei ihm gewesen: er stammt ja ebenfalls aus Galiläa!" - 60 "Mensch", - rief Petrus aus - "ich begreife nicht, wie du nur so etwas behaupten kannst!" In demselben Augenblick krähte ein Hahn. 61 Da wandte der Herr sich um, und sein Blick traf den Petrus. Und dieser dachte sofort an das Wort, das der Herr ihm gesagt hatte: "Ehe der Hahn heute kräht, wirst du dreimal geleugnet haben, mich zu kennen." 62 Und er ging hinaus und weinte bitterlich.

63 Die Männer aber, die Jesus zu bewachen hatten, misshandelten ihn. 64 Sie verhüllten ihm dabei das Angesicht und richteten die Frage an ihn: "Wer hat dich eben geschlagen? Jetzt kannst du beweisen, ob du ein Prophet bist." 65 Noch viele andere Schmähungen stießen sie gegen ihn aus.

66 Bei Tagesanbruch versammelte sich der Rat der Ältesten des Volkes, die Oberpriester und Schriftgelehrten und ließen ihn vor den Hohen Rat führen. 67 Dort richteten sie an ihn die Worte: "Wenn du der Messias bist, so sage es uns!" Doch er erwiderte ihnen: "Wenn ich es euch auch sage, glauben werdet ihr es doch nicht; 68 und wenn ich euch auch Fragen vorlegen würde, so gäbet ihr mir doch keine Antwort und ließet mich auch nicht mehr frei. 69 Nur noch eine kurze Spanne Zeit, dann wird der Menschensohn zur Rechten der Macht Gottes sitzen." 70 Da riefen alle: "So bist du also der Sohn Gottes?" Er antwortete: "Ja, ich bin es!" 71 Da entgegneten sie: "Wozu brauchen wir noch ein Zeugenverhör? Wir haben es ja selbst aus seinem eigenen Munde gehört."

Kapitel 23

1 Nun erhob sich die ganze Versammlung, und man führte Jesus vor Pilatus. 2 Vor ihm erhoben sie folgende Anklagen gegen ihn: "Wir ha-ben festgestellt, dass dieser Mensch unser Volk aufwiegelt und es dazu verleitet, keine Steuern mehr an den Kaiser zu zahlen; ferner dass er behauptet, er sei der Messias und er sei ein König." 3 "Bist du der König der Juden?" - fragte Pilatus. - "Ja, ich bin es!" - antwortete Jesus. 4 Da wandte sich Pilatus an die Oberpriester und die Volksmenge mit den Worten: "Ich finde keine Schuld an diesem Manne." 5 Diese aber gerieten in immer mehr sich steigernde Erregung und riefen: "Das ganze Volk wiegelt er auf und verbreitet seine Lehre überall, wo Juden wohnen. In Galiläa fing er damit an, und nun ist er bereits bis in diese Stadt vorgedrungen." 6 Als Pilatus das Wort 'Galiläa' nennen hörte, 7 fragte er: "Stammt dieser Mann aus Galiläa?" Und als er erfuhr, dass er tatsächlich zu dem Verwaltungsbezirk des Herodes gehörte, schickte er ihn zu Herodes; dieser hielt sich nämlich in diesen Tagen in Jerusalem auf. 8 Herodes freute sich sehr, Jesus zu sehen. Schon längst hätte er ihn gern kennen gelernt, weil er so viel von ihm gehört hatte. Auch hoffte er, dass Jesus ein Wunder vor seinen Augen wirken würde. 9 Zunächst stellte er eine Reihe von Fragen an ihn. 10 Aber auf keine einzige gab Jesus eine Antwort, während die Oberpriester und Schriftgelehrten da standen und in der leidenschaftlichsten Weise ihre Anklagen gegen ihn vorbrachten. 11 Herodes samt den Herren seines Gefolges strafte ihn nun mit Verachtung und gab ihn dem allgemeinen Gespötte preis, indem er ihm einen Purpurmantel anziehen ließ; so sandte er ihn wieder zu Pilatus zurück. 12 Wahrend Herodes und Pilatus bisher einander nicht wohlgesinnt waren, wurden sie an diesem Tage Freunde. 13 Pilatus ließ nun die Oberpriester und Mitglieder des Hohen Rates und die Volksmenge zusammenrufen und richtete folgende Worte an sie: 14 "Ihr habt mir diesen Mann als einen Volksverführer vorgeführt. Nun habe ich ihn in eurer Gegenwart verhört, wie ihr selbst wisst, ihn aber in keinem einzigen eurer Anklagepunkte schuldig gefunden. 15Ebenso wenig  Herodes, zu dem ich euch ja geschickt hatte. Ihr seht also selbst ein, dass er nichts begangen hat, womit er die Todesstrafe verdient hätte. 16 Ich will ihn daher in sehr ernster Weise ermahnen und ihn dann freilassen. 17 Er musste ihnen nämlich an einem Feste einen Gefangenen freigeben. 18 Doch da schrieen sie wie aus einem Munde: "Hinweg mit diesem Menschen! - Den Barabbas gib uns frei!" - 19 Barabbas war  ein Mann, der wegen Beteiligung an einem Aufstand in der Stadt und wegen Mordes im Gefängnis saß. 20 - Weil Pilatus sich jedoch fest vorgenommen hatte, Jesus freizulassen, redete er zum zweitenmal auf sie ein. 21 Sie aber schrieen: "Ans Kreuz mit ihm! Ans Kreuz mit ihm!" 22 Zum drittenmal richtete er die Frage an sie: "Was hat denn dieser Mann Böses getan? Ich habe keine Schuld an ihm gefunden, die den Tod verdiente. Ich will ihm daher eine kleine Verwarnung erteilen und ihn dann freilassen." 23 Doch sie ließen nicht mehr davon ab, unter furchtbarem Toben seine Kreuzigung zu verlangen. Ihr Geschrei im Verein mit dem der Oberpriester trug endlich den Sieg davon. 24 Pilatus fällte das Urteil: "Dem Verlangen der Ankläger wird stattgegeben. 25 Der Mann, der wegen Mordes im Gefängnis sitzt und dessen Freilassung man verlangt, ist frei. Jesus wird an die Ankläger ausgeliefert zur Vollstreckung des von ihnen gewollten Urteils!"

26 Nun führte man ihn zur Hinrichtung. Unterwegs hielten sie einen gewissen Simon von Cyrene an, der gerade vom Felde kam, und legten ihm das Kreuz auf die Schultern, damit er es hinter Jesus hertrage. 27 Es folgte eine ungeheure Volksmenge; darunter befanden sich auch Frauen, die um ihn wehklagten und weinten. 28 Da wandte sich Jesus an sie mit den Worten: "Töchter Jerusalems, weinet und klaget nicht über mich! Doch über euch selbst und über eure Kinder sollt ihr weinen! 29Denn es kommen Tage, an denen man ausrufen wird:  Glücklich zu preisen sind die Kinderlosen und die Frauen, die nicht Mutter wurden, und die Brüste, die nicht zu nähren brauchen. 30 Man wird dann zu den Bergen sagen: Fallet auf uns! und zu den Hügeln: Bedecket uns! 31 Denn wenn dies mit dem grünen Holze geschieht, was wird da erst mit dem dürren geschehen?" 32 Gleichzeitig mit ihm wurden auch zwei Verbrecher zur Hinrichtung geführt.

33 Nach ihrer Ankunft auf dem Richtplatz, der auch 'Schädelstätte' heißt, nahmen sie dort die Kreuzigung vor. Von den beiden Verbrechern banden sie einen zu seiner Rechten, den andern zu seiner Linken ans Kreuz. 34 Dann verteilten sie seine Kleider, indem sie das Los darüber entscheiden ließen. 35 Das Volk stand dabei und gaffte. Die Mitglieder des Hohen Rates riefen ihm höhnisch zu: "Andere hast du gerettet; nun rette dich selbst, wenn du der Sohn Gottes, - wenn du der Messias, - wenn du der Auserwählte sein willst!" 36 Auch die Soldaten trieben ihren Spott mit ihm. Sie traten an das Kreuz und reichten ihm Essig zum Trinken; 37 sie riefen ihm zu: "Sei gegrüßt, du König der Juden!" und setzten ihm dabei eine Krone auf - eine Krone von Dornen. 38 Über seinem Haupte hatte man eine Inschrift angebracht. Sie war in griechischer, lateinischer und hebräischer Sprache geschrieben und lautete: "Dieser ist der König der Juden."

39 Einer von den Verbrechern, die neben ihm hingen, schmähte ihn. "Du willst der Messias sein?" sagte er; "dann rette doch dich selbst und uns!" 40 Doch der andere gab ihm einen scharfen Verweis. "Hast denn auch du keine Furcht vor Gott?" - sprach er zu ihm. "Er ist doch in derselben Todesnot, in der auch wir uns befinden. 41 Wir sind mit Recht darin; denn wir empfangen den Lohn für unsere Taten. Er aber hat nichts Schlechtes begangen." 42 Und nun wandte er sich an den Herrn und flehte: "O denke doch an mich am Tage deiner Ankunft!" 43Da gab Jesus dem, der dem andern die Vorhaltungen gemacht hatte, die Antwort: "Fasse Mut! Denn heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!"

44 Als es ungefähr zwölf Uhr mittags war, kam eine Finsternis über das ganze Land und dauerte bis drei Uhr nachmittags. 45 Es war eine Sonnenfinsternis. 46 Nun rief Jesus mit lauter Stimme: "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!" Nach diesen Worten verschied er. In diesem Augenblick zerriss der Vorhang des Tempels. 47 Der Hauptmann pries Gott mit lauter Stimme und sagte: "Dieser Mann war wirklich ein Gerechter." 48 Auch die Scharen, die zu diesem Schauspiel herbeigeströmt waren und alles miterlebt hatten, was sich zugetragen, schlugen an Brust und Stirne und kehrten heim. 49 Alle aber, die ihm in Liebe zugetan waren, standen in weiter Entfernung; darunter befanden sich auch Frauen, die ihm aus Galiläa gefolgt waren, als Zuschauer.

50 Nun war da ein Mann, namens Joseph. Er stammte aus der jüdischen Stadt Arimathäa und war Mitglied des Hohen Rates. Er war ein guter und gottesfürchtiger Mann, der auf das Reich Gottes wartete. 51Er war auch mit dem  Beschluss und der Handlungsweise des Hohen Rates nicht einverstanden gewesen. 52 Dieser ging nun zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. 53 Darauf nahm er ihn vom Kreuze ab, wickelte ihn in feine Leinwand und legte ihn in ein Grab, das in einen Felsen gehauen und in dem noch niemand beigesetzt worden war. Nachdem er ihn dort beigesetzt hatte, ließ er den Eingang dazu mit einem Stein verschließen, den zwanzig Mann nur mit größter Mühe heran-wälzten. 54 Es geschah dies in den Stunden des sogenannten 'Vorsabbats'; der Sabbat selbst sollte bald anbrechen. 55 Bei der Überführung der Leiche waren zwei Frauen anwesend, die zusammen mit Jesus aus Galiläa gekommen waren. Sie sahen sich die Grabkammer und die Beisetzung seiner Leiche an. 56 Dann kehrten sie zur Stadt zurück und besorgten sich auf dem Rückwege Gewürzkräuter und wohlriechende Salben. Den Sabbat brachten sie in aller Stille zu.

 Kapitel 24

1 Am ersten Tage nach dem Sabbat gingen sie beim ersten Morgengrauen zum Grabe und nahmen das mit sich, was sie sich früher besorgt hatten. Einige andere Frauen begleiteten sie. Unterwegs sprachen sie unter sich darüber, wer ihnen wohl den Stein wegwälzen würde. 2 Als sie jedoch dorthin kamen, fanden sie den Stein bereits vom Grabe weggewälzt. 3 Sie gingen in das Grab hinein, fanden jedoch den Leichnam nicht. 4 Als sie darüber ganz ratlos waren, standen plötzlich zwei Männer in strahlenden Gewändern in ihrer Nähe. 5 Unter dem Drucke einer großen Angst beugten sie ihr Angesicht tief zur Erde hin. Diese aber redeten sie mit den Worten an: "Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten? 6 Könnt ihr euch noch der Worte erinnern, die er damals zu euch sprach, als er noch in Galiläa war, - 7 nämlich, der Menschensohn müsse in die Hände der Menschen überliefert und gekreuzigt werden; am dritten Tage aber müsse er auferstehen?" 8 Da erinnerten sie sich seiner Worte. 9 Sie eilten zurück und meldeten den Elfen, sowie den übrigen alles, was sie erlebt hatten. 10 Die den Aposteln den Bericht erstatteten, waren Maria Magdalena und Johanna, sowie Maria, die Mutter des Jakobus und alle, die sie begleitet hatten. 11 Aber diese Erzählungen erschienen jenen als Hirngespinste, und sie schenkten ihnen keinen Glauben.

12 An dem selben Tage machten zwei aus ihrem Kreise eine Wanderung nach einem Dorfe, das ungefähr drei Stunden von Jerusalem entfernt lag und Emmaus hieß. 14 Unterwegs unterhielten sie sich über alle Begebenheiten. 15 Mitten in ihrer Unterhaltung und Erörterung trat Jesus plötzlich zu ihnen und begleitete sie; 16 doch wurden ihre Augen gehalten, damit sie ihn nicht erkannten. 17 "Was ist das für eine ernste Unterhaltung", - begann er - "die ihr da auf eurer Wanderung mit einander führt, und ihr scheint sehr bedrückt zu sein?" 18 Der eine von ihnen, namens Kleopas, gab ihm zur Antwort: "Du bist wohl der einzige Fremdling in Jerusalem, der nicht weiß, was sich dort in den letzten Tagen zugetragen hat?" - 19 "Was könnte das denn sein?" - fragte er. "Nun", - sagten sie - "all das, was sich mit Jesus von Nazareth ereignete, der ein Gesandter Gottes war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volke; 20 wie ihn unsere Oberpriester und der Hohe Rat auslieferten, um die Bestätigung ihres Todesurteils zu erlangen, und ihn dann kreuzigten. 21 Wir aber hatten gehofft, dass er es sei, der Israel die Erlösung bringen würde. Allerdings ist seit allen diesen Ereignissen heute der dritte Tag. 22 Auch haben Frauen uns in einen Zustand freudiger Erwartung versetzt. Sie sind nämlich heute früh am Grabe gewesen 23 und fanden seinen Leichnam nicht mehr vor. Bei ihrer Rückkehr erzählten sie nun, sie hätten eine Erscheinung von Engeln gehabt; diese hätten ihnen mitgeteilt, dass er am Leben sei. 24 Daraufhin eilten einige von den Unsrigen ebenfalls zum Grabe und fanden das bestätigt, was die Frauen berichtet hatten. 25 Ihn selbst sahen sie jedoch nicht." - "Ach, was seid ihr doch für kurzsichtige Menschen!" - erwiderte er - "Und wie schwer fällt euch das Verständnis für alles, was die Propheten geredet haben! 26 Musste denn nicht der Messias das alles leiden, um in seiner Herrlichkeit eingehen zu können?" 27 Nun begann er bei Mose und erklärte ihnen in den Schriften aller Propheten diejenigen Stellen, die sich auf den Messias bezogen. 28 So näherten sie sich dem Dorfe, welches das Ziel ihrer Wanderung war. Da stellte er sich, als wollte er weiter gehen. 29 Doch sie baten ihn inständig: "Bleibe bei uns, denn der Tag hat sich bereits stark zum Abend geneigt!" So kehrte er denn mit ihnen ein. 30 Als er nun mit ihnen zusammen bei Tische lag, nahm er das Brot, sagte das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen: 31 In dem Augenblick, wo sie das Brot aus seinen Händen empfingen, wurden ihnen die Augen geöffnet,  und sie erkannten ihn. Er aber entschwand ihren Blicken. 32 Da sagten sie zueinander: "Lag nicht ein Schleier über unsern Herzen, als er unterwegs mit uns sprach und uns die Schriftstellen erklärte?" 33 Und voll Trauer über sein Verschwinden machten sie sich noch in derselben Stunde auf den Weg und kehrten nach Jerusalem zurück. Dort fanden sie die Elf nebst den andern versammelt, 34 die ihnen erzählten, dass der Herr tatsächlich auferstanden und dem Simon erschienen sei. 35 Da erstatteten auch sie einen ausführlichen Bericht über alles, was sich auf ihrer Wanderung zugetragen hatte, und wie der Herr von ihnen beim Brechen des Brotes erkannt worden sei.

36 Noch waren sie am Erzählen, da stand Jesus selbst plötzlich in ihrer Mitte. 37 Vor Angst krochen sie zusammen; denn sie glaubten, ein Trugbild zu sehen. 38 Da richtete er die Worte an sie: "Warum seid ihr so aufgeregt, und warum steigen so törichte Gedanken in eurem Innern auf? 39 Sehet euch doch meine Hände und Füße an und überzeugt euch, dass ich es bin! Betastet mich doch und erkennet, dass ein Trugbild nicht Knochen und Fleisch an sich haben kann, wie ihr es bei mir sehet.

41 Als sie dann vor freudiger Erregung immer noch nicht recht wussten, ob sie es glauben könnten, fragte er sie: "Habt ihr etwas zu essen hier?"

42 Da reichten sie ihm ein Stück von einem gebratenen Fisch. 43 Das nahm er und aß es vor ihren Augen. 44 Dann fuhr er fort: "Folgendes sind die Worte, die ich zu euch sprach, als ich noch bei euch war: 'Es muss alles in Erfüllung gehen, was im Mosaischen Gesetz, den Schriften der Propheten und in den Psalmen über mich geschrieben steht.'" 45 Hierauf eröffnete er ihnen den Sinn für das Verständnis dieser Schriften 46 und erklärte ihnen, dass diesen zufolge der Messias leiden und am dritten Tag auferstehen müsse; 47 dass ferner auf sein Geheiß die Predigt von der Änderung der inneren Gesinnung, sowie von der Befreiung von den Sünden des Abfalls bis zu allen Völkern dringen soll, indem sie in Jerusalem ihren Anfang macht. 48 Ihr könnt das bezeugen. 49 So sende ich denn das auf euch herab, was ich euch versprochen habe. Bleibt hier in der Stadt, bis ihr mit einer Kraft von oben ausgerüstet seid."

50 Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Bethanien, hob seine Hände empor und segnete sie. 51 Während des Segens verschwand er aus ihren Augen. 52 Mit großer Freude im Herzen kehrten sie nach Jerusalem zurück. 53 Dort hielten sie sich meistens im Tempel auf und priesen Gott.

 

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Bericht des Lukas

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